Freddy Besse zieht es an den Wochenenden auf die wilden Gewässer des Zürichsees. Sein Nebenjob: Matrose. Am Tag der Schifffahrt bin ich mit dem Kommunikationsstudenten in See gestochen, um das Leben auf dem Schiff kennenzulernen.
Als ich an einem kalten Sonntagmorgen im Mai am Bürkliplatz stehe, verfliegt die Freude über mein ausgiebiges Frühstück im Nu. Der Regen peitscht mir ins Gesicht, die Nacht war kurz und die Wellen sind mindestens so hoch wie die auf Millers Planet im Film «Interstellar». Ich betrete die wankende Helvetia und treffe auf den 26-jährigen Kommunikationsstudenten Freddy aus Zürich, der in seiner Matrosen- Uniform beneidenswert seetüchtig wirkt. Heute ist Tag der Schifffahrt, der Saisonauftakt für die Zürcher Passagierschiffe. Ich darf mich deshalb in die erste Klasse im Oberdeck setzen. Der Unterschied zur Holzklasse ist zwar gering, und doch bin ich überzeugt, einen Hauch von bourgeoiser Freiheit zu riechen. Mein mulmiges Gefühl verschwindet, als ich durch das Fenster der Steuerbordseite blicke (also natürlich rechts, das Schiffsvoci sitzt). Die Wellen wirken von hier oben bereits flacher. Dicke Tropfen prasseln gemütlich auf das Schiffsdach. Als die Helvetia ablegt, winken uns ein paar immer kleiner werdende Gestalten durch den Regen hinterher. Wie die Königin von England winke ich majestätisch aus der ersten Klasse zurück. Es kann losgehen!
Mut zu neuen Wegen
Der Seemannschor Thetis singt in seinen Liedern über Whisky, Heimweh und die salzige See. Zwischen den Haltestellen setzt sich Freddy zu mir und meinem Kaffee und erzählt über seinen ungewöhnlichen Nebenjob. Vor sechs Jahren habe alles angefangen, als er sich von der Schule aus für zwei Wochen eine Arbeit suchen musste. Seine Wahl fiel auf die Zürichsee Schifffahrtengesellschaft (ZSG), da er einmal etwas Anderes probieren wollte. So packte Freddy fleissig mit an und stellte schnell fest, dass er sich auf See und vor allem in der familiären Crew immer wohler fühlte. Erfreut über die Verbundenheit fing er daraufhin als Leichtmatrose ohne umfangreiche Erfahrung auf See an. Bald darauf folgte dann die einmonatige Ausbildung zum Vollmatrosen.
Matrose, Cowboy, Tourguide
Meistens arbeitet Freddy an den Wochenenden. Zu den Aufgaben des 26-jährigen Matrosen gehört das Anlegen am Schiffssteg. Eine heikle Aufgabe, die viel Übung benötigt, wie mir Freddy erklärt: Das Schiffstau muss dabei genau im richtigen Moment wie ein Lasso um den Pfosten geworfen werden. Auch nach sechs Jahren im Beruf benötigt Freddy dafür noch allerhöchste Konzentration. Danach betreten die ersten Passagiere das Schiff. Weiter geht es für Freddy mit der Ticketkontrolle. Die vierstündige Rundfahrt Bürkliplatz nach Rapperswil und wieder zurück kostet mit Halbtax 22.20 Franken für die 2. Klasse. Was Freddy an seinem Nebenjob schätzt, ist der enge Kontakt mit den Passagieren. Er sei nicht nur Matrose, sondern gleichzeitig auch Tourguide. Zu den Haltestellen und Schiffen hat er ein paar spannende Infos auf Lager: Ich erfahre zum Beispiel, dass die Helvetia ihr eigenes Trinkwasser produziert, indem sie das Seewasser unter ihr filtert. Die Fahrt ist wunderschön, immer wieder entdecke ich beeindruckende Bauten und alte Schiffsstege direkt am Ufer. Was für eine erfrischende Perspektive!
Nächtliches Karussell
Seekrank ist Freddy noch nie geworden. Dafür landkrank, wie er mir verrät. Wenn er in den Semesterferien sechs Tage am Stück arbeite, drehe sich abends im Bett alles. Ohne Alkohol. Nach dem Studium würde Freddy am liebsten in einer Kommunikationsabteilung der Polizei arbeiten. Nicht die Uniform habe es ihm angetan, sondern der ehrliche Beitrag zur Sicherheit. Die Fahrt vergeht wie im Flug. Auf dem Rückweg führt mich die Crew noch durch den Maschinenraum. Obwohl ich von technischen Begriffen ungefähr so viel verstehe wie Magdalena Martullo-Blocher von den Feinheiten der englischen Sprache, ist das höllisch laut pumpende Herz des Schiffes äusserst faszinierend. Das Team geht vertraut miteinander um: Es wird herumgewitzelt, man neckt sich liebevoll. Ich kann verstehen, was Freddy bereits seit sechs Jahren hier hält. Vielleicht sollte man öfters neuen Dingen die Chance geben, sich als Jackpot zu erweisen. Zurück in Zürich verabschiede ich mich von allen und verlasse die Helvetia. Zeit, sich wieder unter das gewöhnliche Fussvolk zu mischen. Hinterherwinken kann ich dem Schiff aber leider nicht: Die Besatzung macht erst mal eine Pause, bevor es auf die zweite Rundfahrt des Tages geht.
Dieser Beitrag ist als Erstpublikation auf brainstorm.vszhaw.ch erschienen.