Die letzten Hürden des Studiums sind gemeistert. Nun wartet mit der Stellensuche ein neues Hindernis auf die AbsolventInnen: Die Eingliederung ins Arbeitsleben. Wie Einsteiger, Vertreter der Arbeitswelt und Langzeitarbeitende die Thematik erleben.

Die letzten Prüfungen sind bestanden, die Masterarbeit ist fertiggeschrieben. Mein Studium ist zu Ende. Empfinde ich dabei Freude? Ich kann es nicht genau sagen. Einerseits denke ich mir, nie wieder todnervös sein wegen bevorstehender Vorträge. Nie wieder Prüfungsstress. Nie wieder wissenschaftliche Arbeiten schreiben. Ich fühle das Lösen eines jahrelangen Druckes. Andererseits denke ich, nie wieder einfach die Vorlesungen auslassen können, weil ich mehr Lust auf einen Serienmarathon verspüre, anstatt an die Uni zu gehen. Nie wieder ein GA oder sonst irgendwas zu vergünstigten Studentenpreisen bekommen.

Schon vor dem Abschluss des Studiums machte ich mir bewusst, ich brauch so schnell wie möglich einen Vollzeitjob. Ein neuer Druck entsteht. Aus wissenschaftlichen Arbeiten werden Bewerbungsschreiben und aus Vorträgen werden Bewerbungsgespräche. Ob ich eine Stelle bekomme, die meinen Wünschen entspricht, ist mir zum momentanen Zeitpunkt sekundär wichtig. Hauptsache, ich kann mich an irgendeinem Ort eingliedern, wo mein erworbenes Wissen eingesetzt werden kann. Beim Bewerbungsprozess stelle ich mir reflektierend die Frage, ob ich mich überhaupt für das richtige Studium entschieden habe.

VOM STUDENTEN- INS ARBEITSLEBEN

Geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid und darum mache ich mich auf die Suche nach anderen Post-Studium-Erfahrungen. Kristina, ebenfalls ehemalige Publizistikstudentin, erging es nach Fertigstellung der Masterarbeit ähnlich wie mir, im Gespräch beschreibt sie ihre Erfahrungen:

Was waren deine ersten Gedanken, als du erfahren hast, dass du dein Studium erfolgreich beendet hast?

«Nach Abgabe der Masterarbeit war ich zwar erleichtert, aber ich konnte mich nicht wirklich freuen. Ich hatte meine Zweifel, ob ich eine genügende Arbeit geschrieben hatte. Ob meine Auswertungen zufriedenstellend waren. Ob ich auch diese letzte Hürde nehmen würde. Nach einem fast endlos scheinenden Hürdenlauf, wie es mein Studium war. Kurz gesagt: Ich war skeptisch. Und verkniff mir das Freuen bis zu dem Zeitpunkt, als mir mein Masterdiplom überreicht wurde. Als ich das Couvert endlich in den Händen hielt, wusste ich – es ist real. Es ist ein wichtiger Meilenstein in meinem persönlichen und beruflichen Leben und ich darf mich freuen und auch ein bisschen stolz auf das Erreichte sein. Doch meine Eltern, meine Familie und meine Freunde haben sich ausgelassener gefreut als ich. Auf mir lastete noch ein Druck, den ich nicht einfach so ablegen konnte. Ich hatte gemischte Gefühle. Ausserdem haben mir Zukunftsängste immer wieder die positiven Empfindungen getrübt.»

Ist dir nach dem Studium zu irgendeinem Zeitpunkt Skepsis aufgekommen, dass du vielleicht das Falsche studiert hast?

«Ja, klar! Ich denke ständig, was wäre aus mir geworden, wenn ich etwas anderes studiert hätte. Vor allem jetzt während des Praktikums. Ich frage mich, ob man für eine Praktikumsstelle wirklich ein Studium abgeschlossen haben muss. Ich hätte mich während meiner Zeit am Gymnasium viel intensiver mit den Studienrichtungen auseinandersetzen müssen. Wir haben nur wenige Informationen von Seiten der Kantonsschule bekommen. Und einen freien Nachmittag, um die Infotage an der Universität zu besuchen. Deshalb denke ich, dass es sehr wichtig ist, sich bereits VOR dem Studium intensiv mit den Fragen «Was interessiert mich? In welchem Bereich möchte ich mein Fachwissen vertiefen?» beschäftigt. NACH dem Studium kann es schon zu spät sein.»

Der Übergang vom Studium ins Alltagsleben ist nicht immer einfach.

Hattest du nach dem Studium Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden?

«Während des Studiums hatte ich diverse Nebenjobs, aber schlussendlich überhaupt keine relevante Berufserfahrung. Ein Praktikum war für mich deshalb der nächste logische Schritt. Ich habe mich zuerst nicht intensiv mit der Stellensuche beschäftigt. Die ausgeschriebenen Stellen haben mir nicht zugesagt. Dann habe ich mich beim RAV angemeldet, weil ich mir Hilfe bei der Stellensuche erhoffte. Aber nach einem Monat hin und her mit der Arbeitslosenkasse habe ich meine Anmeldung zurückgezogen. Als Student bekommt man keine Hilfe, aber dafür 180 Straftage. Enttäuschend.

«Für mich war der Büroalltag ein Schock.»

Deshalb muss man sich ganz einfach selber helfen. Man darf die Hoffnung nicht aufgeben und sollte unbedingt gleich zu Beginn intensiv Bewerbungen schreiben. Ein gutes Bewerbungsfoto und fehlerfreie Bewerbungsunterlagen sind ein Muss. Es hilft, wenn man sein Netzwerk aktiviert: Teilt anderen mit, dass ihr auf der Suche nach einer Stelle seid. Ich habe von vielen Freunden und Bekannten Tipps und Links bekommen. Das hat geholfen. Man fühlt sich weniger alleine und hilflos. Teilweise fühlt man sich isoliert, deshalb sind Gespräche umso wichtiger.»

Ist der Umstieg vom Studenten- ins Arbeitsleben schwierig?

«Der Umstieg ist für jedermann anders und dementsprechend ist der Schwierigkeitsgrad individuell. Für mich war der Büroalltag ein Schock. Auch die Mitarbeitenden sind älter und seriöser. Das Arbeitsklima ist eine andere Welt im Vergleich zur lockeren Stimmung an der Uni mit meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Aber das kann man nicht verallgemeinern.»

Wie stehst du zu Praktika?

«Ich mache zurzeit ein Praktikum und ich bin dankbar für diese Chance. Es verschafft mir einen Einblick in einen Arbeitsbereich. Dabei kann es sogar beruhigend sein, wenn die Stelle befristet ist. Falls sie nicht gefällt. Natürlich ist der Lohn ein Minuspunkt. Und ich finde es unfair, wenn man als billige Arbeitskraft eingesetzt wird. Oft machen die Praktikanten Überstunden oder sie machen die gleiche Arbeit wie die Festangestellten. Das Problem steht auf dem Papier: Man hat nicht genügend Berufserfahrung in einem bestimmten Bereich, sonst wäre man nicht Praktikantin oder Praktikant.»

Findest du, dass HochschulabsolventInnen gleich nach dem Abschluss voll berufsfähig sind und deshalb einen Anspruch auf einen gerechten Lohn haben?

«Gerechter Lohn – ja. Aber voll berufsfähig, jedenfalls in meinem Fall – nein. Und gerechter Lohn heisst für mich: Mit einem Masterabschluss sollte man mind. 3’000 Franken bekommen! Ich kenne einige, die haben viel weniger verdient in ihrem Praktikum. Das ist für mich schon irgendwie Ausbeute. Man hat ja im Studium bewiesen, dass man qualifiziert ist fürs Denken. Folglich lernt man schnell, denkt vernetzt und ist motiviert! Das sollten Arbeitgeber viel mehr schätzen

Ein Studium führt in gewissen Fällen nicht zu den gewünschten beruflichen Zielen.

WARUM ES SICH LOHNEN KANN, NOCHMALS VON VORNE ANZUFANGEN

Und was tun, wenn jemand in der Arbeitswelt merkt, dass einen das absolvierte Studium nicht zu den gewünschten beruflichen Zielen führen kann? Einen mutigen Schritt, den nicht viele gehen, machte Denis, der sich für ein Zweitstudium entschied. Heute studiert er Architektur an der ETH Zürich. Bei seinem Erststudium absolvierte er BWL im Bachelor und Design-Management im Master. Schon während der Verfassung seiner Masterarbeit in Design Management konnte er sich in der Arbeitswelt integrieren und arbeitete für einen Möbelverlag in Paris.

«Ich hatte dort von Anfang an viel Verantwortung und musste mich um alles kümmern. Trotzdem waren meine Aktivitäten stark eingeschränkt. Das war nach der Finanzkrise im Jahr 2011 und es war wenig Geld vorhanden, um neue Projekte zu entwickeln».

Danach arbeitete er für ein Design-Studio in Amsterdam, später für eine Kommunikationsagentur in Lausanne.

«Nach zwei Jahren in Lausanne merkte ich, dass ich nicht genug gefordert war, dass mich die Arbeit nicht erfüllte. Der kreative Teil, etwas selbst zu machen, hatte mir gefehlt. Ich hatte schon immer eine Leidenschaft für Architektur, habe mich schon immer dazu hingezogen gefühlt. Bereits bei meinem Masterstudium entschied ich mich mit Design-Management für etwas, das weniger BWL-lastig war und in Richtung Architektur ging. Doch den Schritt «Architekturstudium» hatte ich nie gewagt, weil ich Skepsis hatte, ob es dafür nicht schon zu spät war. Ein guter Freund gab mir aber den Rat, das zu machen, was ich will, und Architektur war das, was ich schon immer machen wollte. Ich habe dann meinen Job gekündigt und mit dem Architekturstudium begonnen. Dieser Schritt war nicht einfach und auch das Zweitstudium gestaltet sich nicht leicht. Nochmals von vorne beginnen ist schwierig».

«Es sollte Pflicht sein, nach dem Gymnasium und vor dem Studium zu arbeiten.»

An der Architektur gefällt Denis besonders, dass es erforderlich ist, mit kreativen Massnahmen die besten Lösungen zu finden. Bei einem Projekt, bei welchem es um die Gestaltung einer Markthalle ging, belegte er den 2. Platz unter den Studierenden und mit der Konzeption eines Springturms für ein Schwimmbad schaffte er es ins Jahresbuch.

«Mit 19 Jahren waren meine Prioritäten komplett anders als heute. Vor meinem ersten Studium hatte ich null Ahnung von der Arbeitswelt. Darum finde ich, es sollte Pflicht sein, nach dem Gymnasium und vor dem Studium zu arbeiten. Das hilft einem, sich selbst besser kennenzulernen und so besser abschätzen zu können, welcher Beruf einem später zusagen könnte. Als ich noch jünger war, dachte ich kurzfristig und wollte gutes Geld verdienen und einen Job haben, der einem viel Reisen ermöglicht. Damals habe ich aber nicht reflektiert, dass einem die tagtägliche Arbeit auch zusagen sollte. Heute ist es mir viel wichtiger, etwas mit Leidenschaft und Spass zu machen. Dieses Gefühl geben mir Architekturprojekte».

Chloé Kuster,
Raiffeisen Schweiz
Alexandra Sonderegger,
Raiffeisen Schweiz

WERTSCHÄTZUNG IN DER ARBEITSWELT

Chloé Kuster und Alexandra Sonderegger, Verantwortliche für Trainees und HochschulabsolventInnen bei der Raiffeisen Schweiz, geben einen Einblick in die Sicht aus Unternehmensseite:

Sind StudiumsabsolventInnen direkt nach dem Studium schon voll berufsfähig, auch wenn sie keine branchenspezifische Arbeitserfahrung mitbringen?

«Das kann nicht pauschal beurteilt werden, da z.B. auf einer Raiffeisenbank die Branchenerfahrung und -kenntnis bedeutend wichtiger sind als in bestimmten Bereichen von Raiffeisen Schweiz. Zudem spielt es auch eine grosse Rolle, was der/die AbsolventIn bereits alles mitbringt (berufsbegleitendes Studium, Praktika, Reife etc.).»

Oft müssen AbsolventInnen nach dem Studium ein oder mehrere, meist nicht gut bezahlte Praktika hinter sich bringen. Wie stehen Sie dazu? Finden Sie, Praktika sind erforderlich, um StudiumsabsolventInnen berufsfähig zu machen?

«Wir sind auf der Suche nach Menschen und nicht nach Abschlüssen.»

«Wir erachten mind. 1 Praktikum seit Erlangen der Maturität als wertvoll, da eine Person herausfinden kann, wo z.B. ihre Interessen/Fähigkeiten liegen, und bereits einmal mit grundlegenden Tätigkeiten/Abläufen eines Unternehmens in Berührung kommt. Dies, sofern jemand bisher keine andere Arbeitserfahrung gesammelt hat (z.B. Lehre, WMS/HMS). Raiffeisen legt dabei grossen Wert auf faire und marktgerechte Löhne.»

Welche Erfahrungen haben Sie mit StudiumsabsolventInnen bei der Integration ins Unternehmen gemacht?

«Sehr gute Erfahrungen. Wir stellen jedes Jahr mehrere StudiumsabsolventInnen über Praktika oder Trainee-Programme ein.»

Sind StudiumsabsolventInnen unverzichtbar für das Unternehmen oder sind Mitarbeitende, die eine Weiterbildung machen, immer die bessere Variante?

«Damit das Unternehmen erfolgreich ist, braucht es unterschiedliche Profile und heterogene Teams. Daher schätzen wir Mitarbeitende mit unterschiedlichen Aus- /Weiterbildungen. Zudem sind wir auf der Suche nach Menschen und nicht nach Abschlüssen.»

Die Hoffnung nicht verlieren

Vertreter der Arbeitswelt geben uns also Zuversicht, dass unser Studium nicht umsonst war. Es ist wichtig, nach dem Studium einen kühlen Kopf zu bewahren. Es mag zwar sein, dass es heutzutage für StudiumsabsolventInnen schwieriger ist, Anschluss an die Berufswelt zu finden als in früheren Zeiten. StudiumsabsolventInnen werden jedoch aus Arbeitgeberseite weiterhin als wertvolle Mitarbeitende geschätzt. Auch wenn sich die Zeit unmittelbar nach dem Studium für manche schwieriger gestaltet als für andere, war der Abschluss doch nicht umsonst. Die Fähigkeit, Sachverhalte zu strukturieren und zu analysieren, wird unabhängig der Studienrichtung bei den meisten Studierenden gestärkt. Dies öffnet einem auch Türen zu Berufen, die auf den ersten Blick nicht unbedingt mit dem abgeschlossenen Studium in Verbindung gebracht werden. Der sich ständig verändernde Arbeitsmarkt bringt nicht nur scheinbare Einschränkungen wie die Erwartung von Praktikumserfahrung mit sich, sondern auch zahlreiche neue Möglichkeiten, sich in der Berufswelt zu etablieren. Darum dürfen wir AbsolventInnen uns jetzt erst einmal voll und ganz über unseren Abschluss freuen und über die Möglichkeiten, die sich uns daraus ergeben. Auch wenn es am Anfang erstmal ein Praktikum sein muss.