Co-Präsidentin Junge Grüne Zürich: «Lehre oder Studium? – Beides!»

Interview

  1. Meriel Thierer, was bewog Sie dazu, Politikerin zu werden?
    Es gibt immer noch so viele Baustellen – wenn man längere Zeit in der Politik ist, merkt man, dass man vieles verändern kann.
    Als ich 17 war, gab es eine Abstimmung in meinem Dorf: Soll man eine Autobahneinfahrt durch ein Naturschutzgebiet bauen? Dafür gäbe es weniger Autos im Dorf. Ich war dagegen – alle anderen waren dafür, sogar meine eigene Familie! Die Jungen Grünen starteten eine Gegenbewegung und ich wurde Teil davon.
  2. Wie sieht Ihr politischer Alltag aus und wie viel Zeit wenden Sie pro Woche oder Monat ungefähr für Ihr Amt auf? Und wie verbinden Sie das mit der Arbeit und dem Privatleben?
    Es kann sehr unterschiedlich sein, je nach Monat. Viel geschieht über das Handy, man muss fast immer erreichbar sein. Sitzungen finden zwischen vier und fünf im Monat statt, vor Abstimmungen noch mehr. Ich arbeite 40 % nebenbei, 20 – 30 % während den Semestern und 100 % in den Ferien. Dann gibt es noch spezielle Anlässe: Demonstrationen, Unterschriftensammeln und Workshops. Zum Privatleben: Ich habe gemerkt, dass ich oft Prioritäten setzen muss. Ich brauche mindestens einen freien Abend in der Woche. Vor allem der Sport und meine Hobbies leiden darunter. Auch den Kontakt zu Freunden aufrechtzuerhalten, ist nicht immer einfach.

    Meriel Thierer, Co-Präsidentin Junge Grüne Zürich. Wohnhaft in Zürich. Seit 2012 bei den Jungen Grünen.
    Geboren: 11.01.1995.
    Studium: Business Administration im 2. Mastersemester an der ZHAW.
    Hobbies: Inlineskating, Backen und Lesen.
    Tätigkeit: Assistentin im Finanzteam der Helvetas (Hilfsorganisation) seit 2015 (40% Pensum).

  3. Wie stellen Sie sich die perfekte Schweiz in den nächsten fünf, zehn und fünfzehn Jahren vor?
    5 Jahre: Keine AKWs mehr, Plastikrecycling ermöglichen (gleicher Standard wie bei Alu oder Glasflaschen)
    10 Jahre: Kein Food-Waste mehr
    15 Jahre: Erneuerbare Energien, Zero-Waste-Gesellschaft
  4. Wie haben Sie vor, auf die Digitalisierung zu reagieren? 
    Die Bildung ist sehr wichtig. Nicht mehr nur Informatik, sondern auch kritisches Denken soll gefördert werden. Auch Filterfunktionen erkennen können, sowie die Fähigkeit einzuschätzen, was echt und wichtig ist, sollte mehr Gewicht erhalten. Inhalte sollen hinterfragt werden. Zugleich soll die Kreativität gefördert werden.
  5. Was ist Ihr persönliches politisches Ziel für die Zukunft?
    Ich habe für den Gemeinderat kandidiert – im Moment auf dem Nachrutschplatz. Ich will nicht unbedingt in den National- oder Ständerat: der Wahlkampf ist zu heftig und zu teuer. Die „Zersiedelungsinitiative“ ist persönlich mit viel Engagement verbunden. Für den Abstimmungskampf muss wahrscheinlich noch viel Zeit und Energie investiert werden.
  6. Wie haben Sie vor, mehr Wähler zur Urne zu bringen, vor allem die Jungen?
    Das ist ein sehr schwieriges Unterfangen: Es gibt viele Podiumsdiskussion an Schulen – es bräuchte noch mehr! Stimmrechtsalter sollte 16 sein, möglicherweise mit Beantragung. Jeder sollte sein eigenes Umfeld motivieren. Manche Vorlagen sind extrem kompliziert – daher bräuchte es einfachere Erklärungen.
  7. Der Rechtspopulismus erlebte in den letzten Jahren einen Boom – wie planen Sie, damit umzugehen?              
    Man darf sich nicht entmutigen lassen. 2015 waren Kantonratswahlen, die Grünen verloren drei Sitze. Kann sich auch wieder ändern – so haben sie vor Kurzem wieder zwei Sitze im Gemeinderat dazugewonnen. Wenn der Rechtspopulismus stärker wird, wächst der Widerstand mit.
  8. Haben Sie Ihr Studium oder Ihre Ausbildung bereits einmal abgebrochen oder stark verändert?
    Nein. Ich habe eine KV-Lehre gemacht, das war zwar eine Kurzschlussreaktion, aber ich bereue sie nicht. Ich bin zufrieden mit der Entscheidung, das KV gemacht und es auch durchgezogen zu haben.
  9. Haben Sie einmal an einer Prüfung geschummelt? Haben Sie Tipps oder Ratschläge bezüglich Spicks?
    Während einer Prüfung im KV hatte ich einmal die Lösung auf dem Handy – habe die Lösung gebraucht und auch den Leuten um mich herum weitergegeben: „Soziales Schummeln“.
    Man kann immer einen Spick schreiben, denn man hat einen Nutzen davon, auch wenn man ihn nicht benutzt!
  10. Wo sehen Sie Mängel oder Vorteile des Bildungssystems der Schweiz?
    Mängel: Geld ist zu wichtig – es gibt zu wenige Stipendien. Und man soll oder muss mit 14 schon wissen, was man in der Zukunft machen will.
    Vorteile: Die Lehre empfinde ich als etwas sehr Positives, denn es gibt viele Möglichkeiten nach einer Lehre – Passerelle, Weiterbildungen etc. Aber auch Hochschulen finde ich positiv: unzählige Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung und man braucht keine Matura, um eine Fachhochschule zu besuchen.
  11. Lehre oder Studium? Und wieso?
    Beides! Lehre und Studium oder eine Weiterbildung.
  12. Welcher Politiker wäre für Sie der beste Dozent? Und warum?
    Bastien Girod. Er ist sehr eloquent und gebildet.
  13. Haben Sie Ratschläge, wie sich junge Menschen mehr in die Politik einbringen können?
    An alle jungen Menschen: Schliesst euch Jungparteien an, dann könnt ihr vieles bewirken! Man kann auch zu Jungparteien anderer Kantone, anstatt im eigenen. Wenn jemandem etwas wichtig ist – aktiv werden!
  14. Haben Sie Ratschläge für andere Jungpolitiker?
    Wichtig ist vor allem: Durchhaltevermögen, kritisches Denken sowie eine dicke Haut. Man muss sich auch ständig vernetzen, vor allem mit anderen Politikern soll man Kontakt aufnehmen. Es ist wichtig, immer dabei zu bleiben – immer zu allem eine Meinung zu haben. Man lernt auch sehr vieles dazu: Einen Diskurs führen, zu debattieren und mit Menschen umzugehen, die eine ganz andere Meinung oder Weltansicht haben.
  15. Was halten Sie für die wichtigsten Punkte, welche die Politik so schnell wie möglich behandeln muss?
    Klimawandel! Wenn nicht jetzt was gemacht wird, wird es nur noch schlimmer und es wird viel mehr kosten.
    Die Friedensförderung, natürlich vor allem international. Zu der Flüchtlingskrise: Man sollte nicht nur in Europa aushelfen, sondern vor allem die Probleme vor Ort lösen. Integration ist ebenso wichtig, vor allem für Flüchtende und Migrierende. Man sollte versuchen, ihnen die Partizipation zu vereinfachen oder überhaupt erst zu ermöglichen. Beispielsweise mit einem Ausländerstimmrecht auf allen Ebenen, vor allem aber auf Gemeindeebene.