Wer regelt eigentlich das Schweizer Schulwesen? Und wie lange dauert bei uns die Schulpflicht? Oft wissen wir Schweizer selbst nicht so genau, was sich hinter dem Begriff unseres Bildungssystems versteckt. Um dann auch noch einen Vergleich zu anderen Ländern zu ziehen, ist es nötig, das Thema genauer zu beleuchten. Sarah Pelzl, ursprünglich aus Österreich, berichtet uns von den Unterschieden, die sie zwischen den beiden Ländern beobachtet hat.

Sarah Pelzl

Ihr Bildungsweg war ein ziemlich typischer: Kindergarten von drei bis sechs, danach vier Jahre Volksschule und schliesslich acht Jahre Gymnasium, die im Alter von 18 mit einer Matura endeten. Heute studiert Sarah zwar Psychologie an der Universität Zürich, hat aber auch viel Lob für ihr Herkunftsland zu vergeben. Im Vergleich zur Schweiz findet sie, «in Österreich ist es leichter, zwischen den Ausbildungsmöglichkeiten [nach der Volksschule] zu wechseln», und «in Österreich ist das Elite-Denken [in der Bildung] nicht so stark vorhanden.» Die Integration der breiten Masse in die Universitäten und höheren Ausbildungen beobachtet Sarah mit Stolz und betont, dass eine Berufslehre in Österreich «als eine ganz normale Ausbildung gesehen» wird. Die Akzeptanz für diese Form der Ausbildung sei dementsprechend hoch.

Lehren und akademische Bildungswege

Doch Sarah hat nicht nur Lob für Österreich zu vergeben, wenn es zum direkten Vergleich mit der Schweiz kommt. Sie betont doch, «dass eine Lehre in der Schweiz trotz allem noch einiges beliebter ist als in Österreich». Das spiegelt sich auch in den Zahlen der begonnenen Lehrverhältnisse der beiden Länder: Während in der Schweiz der Anteil der eingegangenen Lehrverhältnisse bei Jugendlichen der Sekundarstufe II 2013 auf 44.3% lag, lag derselbe Anteil in Österreich 2014 bei nur 38.8%. Dazu muss jedoch betont werden, dass die Anteile in beiden Ländern über die Jahre gesunken sind; es scheint also eine leichte Tendenz weg von beruflichen Ausbildungen und hin zu allgemeinbildenden Alternativen zu geben, insbesondere den Gymnasien. Dieser Anstieg scheint, zumindest in der Schweiz, vor allem dem grösser werdenden Frauenanteil an Gymnasien zu verdanken zu sein. Im Vergleich der beiden Länder wird eines deutlich: Wo die Schweiz gymnasiale und entsprechende akademische Bildungswege zahlenmässig eher klein zu halten scheint (20.8% gymnasiale Maturitätsquote 2015), öffnet Österreich diesen Bildungsweg, wie auch Sarah Pelzl bestätigt, der breiten Masse (42.5% Maturitätsquote).

Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Leistungsstufen

Doch was bedeutet dieser Unterschied in den Balancen der Bildungsstufen zwischen Österreich und der Schweiz? Einerseits liegt es, im Gegensatz zur Schweiz, eher in der Natur des österreichischen Bildungssystems, Schülern durchgehend einen Wechsel zwischen den angebotenen Leistungsstufen zu ermöglichen, wie auch Sarah Pelzl betont. Wer an die Hauptschule gegangen ist, kann noch immer durchaus mit einer Matura abschliessen oder mit einer Zwischenprüfung an eine Hochschule gelangen. Entsprechend ist über die Jahre auch der Anteil an Hochschulabschlüssen in der Bevölkerung auf 14.1% angestiegen, was sich mit der Orientierung Österreichs deckt, breite Inklusion in die höhere Bildung zu schaffen. Nach wie vor wurde aber in PISA-Studien gefunden, dass der Bildungsgrad österreichischer Bürger stark von Bildungsgrad und Einkommen der Eltern abhängt, was wiederum eher gegen den Anspruch spricht, dass höhere Bildung der breiten Masse zugänglich gemacht wird. Laut PISA sei die mangelhafte Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Bildungsangeboten problematisch, und es gebe wenige Wechsel von der Hauptschule in die allgemeinbildende höhere Schule auf Sekundarstufe II.

Die Schweiz als Vorbild?

Im Gegensatz dazu zeichnen die PISA-Studien desselben Jahres ein sehr viel positiveres Bild der Zugänglichkeit zu höherer Bildung in der Schweiz. Die Schweiz gibt sich aber bescheiden – sie sieht in erster Linie die in den letzten Jahren in die Schweiz immigrierte Bevölkerung als Grund für diese Beobachtung von Chancengleichheit und durchschnittlich hoher Bildung. Dies habe meist mit den jüngsten Entwicklungen der Immigration in die Schweiz, dem Zuzug akademisch Deutscher Familien mit Kindern, zu tun. Auch wird weiterhin die mangelhafte Durchlässigkeit des Schweizer Bildungssystems zwischen Stufen verschiedener Leistungs- und beruflicher Spezialisierungsgrade moniert. Ex-Lehrer Christoph Heeb vom Forum Bildung in Winterthur kritisiert insbesondere auch verschiedene schulische Leistungstypen innerhalb derselben Schule und betont dabei, dass die Erfahrung für die betroffenen Schüler traumatisch sei. Oft sei ihnen bewusst, dass sie nicht die gleichen Chancen im späteren Berufsleben hätten.

Auf Augenhöhe

Ein direkter Vergleich der Bildungssysteme der beiden Länder kann den Weg zu neuen, fruchtbaren Diskursen öffnen. Dazu ist es wichtig, sich selbst zu hinterfragen: Inwieweit dürfen Maturaquoten in der Schweiz noch gesenkt werden? Ist es so abwegig, ein dem Stufenwechsel offeneres Bildungsmodell wie das österreichische in Betracht zu ziehen? Muss Österreich seine Berufsausbildung stärken? Was ist wichtiger, eine hoch gebildete kleine Elite oder eine gebildete breite Masse, wie sie mit der breiteren Öffnung eines Bildungssystems zustande kommen kann? Und würde sich eine vertiefte Zusammenarbeit der beiden Länder nicht anbieten? Die Bildungssysteme Österreichs und der Schweiz ähneln sich in so vielen formellen und historischen Aspekten, dass sie sich möglicherweise auf Augenhöhe begegnen und direkte Vergleiche ziehen können. Vielleicht sind sie gar nicht so verschieden.

Schweiz Österreich
Maturitätsquote auf Sekundarstufe II 20.8% im Jahr 2015 42.5% im Jahr 2014
Lehrverhältnisse Sekundarstufe II 44.3% im Jahr 2013 38.8% im Jahr 2014
Schulpflicht mit Stufen 11 Jahre: Kindergarten mit 4-5, mit 6-11, Sekundarstufe I mit 12-15, Sekundarstufe II mit 16+ 9 Jahre: mit 6-10, Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schule (AHS, wie Untergymnasium) oder neue Mittelschule (NMS, früher Hauptschule, wie die drei Leistungsstufen von Werk- bis Sekundarschule) mit 11-15, obligatorische weiterführende Ausbildung 15+, meist bis 18
Sekundarstufe I In den meisten Kantonen drei Leistungsstufen , Realschule und Sekundarschule, ausserdem private Untergymnasien, die meist relativ teuer und anspruchsvoller sind Höchste Leistungsstufe AHS-Vorstufe, dann folgt Haupt- bzw. NMS mit drei Leistungsstufen, von denen der Lehrplan der höchsten mit dem Lehrplan der AHS-Unterstufe übereinstimmt
Sekundarstufe II und weiterführende Optionen Gymnasium, Berufslehre, Berufsmatura, Fachhochschulen, höhere Fachschulen, Hochschulen, Universitäten AHS-Oberstufe oder Oberstufengymnasium (Matura), berufsbildende höhere Schulen (Fachprüfung und Matura), berufsbildende Mittelschulen (Fachprüfung)
Regelung des Schulwesens Kantonal, Hochschulen haben dabei von allen Formen wohl den höchsten Bundesanteil in der Finanzierung Schulen sind zentral vom Bund geregelt, obschon die Volksschule und Sekundarstufe I meist Sache der einzelnen Bundesländer sind
Staatliche Stelle Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Anteil 25-64-jährige mit Hochschulabschluss 40% im Jahr 2017 16% im Jahr 2017

 

Zusätzliche Quelle ohne Link: Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (2017). Berufsbildung in der Schweiz: Fakten und Zahlen 2017. Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF, S. 1-5.