Deutschunterricht kann Flüchtlingen die Integration erleichtern und ihnen den Zugang zu Lebenswelten verschaffen. Das hat Noé Perrin eindrücklich erfahren. Sie unterrichtet beim Integrationsprojekt Welcome to School als ehrenamtliche DaF-/DaZ-Lehrkraft.
Seit über einem Jahr arbeite ich als Hilfslehrerin bei Welcome to School – einem Integrationsprojekt in Zürich. Dort werden jugendliche Asylsuchende unterrichtet und begleitet. Diese müssen oft Jahre warten, bis nach ihrem Asylantrag der Entschluss feststeht. Die Flüchtlinge werden in deutscher Sprache und weiteren Schulfächern unterrichtet und lernen gleichzeitig die schweizerische Kultur kennen. Zum Beispiel wie man sich hier am besten integriert und zurechtfindet.
Geflüchtet und verstossen
Mohammed* hat mir eine eindrückliche Geschichte erzählt, sie beginnt so: «Es ist meine Schuld». Weil der junge Afghane geflüchtet ist, wird auch seine Familie verfolgt. Sein Bruder darf deshalb nicht zur Schule gehen, das wäre zu gefährlich. Der Flüchtling setzt sich nun mit vereinten Kräften dafür ein, dass der Bruder trotzdem irgendwo zur Schule gehen kann. Er wünscht ihm eine Zukunftsperspektive. Seine Eltern aber ignorieren diesen Wunsch und bleiben hart. Denn Mohammed gehört nach seiner Flucht nicht mehr zur Familie und darf sich nicht mehr einmischen.
Nirgends zu Hause
Diese Geschichte hat mir Mohammed in einem Interview für meine Maturarbeit erzählt. Mohammed ist ein Flüchtling, der auf seinen Asylentscheid wartet. Wie viele andere darf er während dieser Zeit weder arbeiten noch eine öffentliche Schule besuchen. «Welcome to School» bietet Jugendlichen die Chance, während dieser Zeit Schulbildung zu erhalten und sich zu integrieren. Um in der Schweiz anzukommen, reicht es eben nicht, die Grenze zu überqueren. Ankommen bedeutet, ein neues Zuhause zu finden – auch wenn dieses nur vorübergehend ist. Das erfordert von den Flüchtlingen wie auch von den Einheimischen Integration. Letztere können genauso viel dazu beitragen wie die Ankömmlinge – und genauso von diesem Austausch profitieren. Das habe ich bei meiner Arbeit als Hilfslehrerin bei Welcome to School gelernt.
Beidseitige Integration
Flüchtlinge kommen erst richtig an, wenn sie physisch, sprachlich und menschlich aufgenommen werden. Erst wenn sie der Gesellschaft etwas zurückgeben können, beginnt für sie der Aufbau einer neuen, persönlichen Lebenswelt. Dann wissen sie auch, weshalb sie am neuen Ort sind und nicht mehr nur, weshalb sie geflüchtet sind. Für meine Maturarbeit habe ich Flüchtlinge gesucht, die mir ihre Geschichte erzählen. Damals wurde mir gesagt, ich würde auf Ablehnung stossen und nur Wunden aufreissen. Doch meine Interviewpartner waren begeistert. Nicht, weil sie ihre Geschichte erzählen durften, sondern weil sie damit jemandem helfen konnten. Plötzlich waren ihre Erfahrungen wertvoll und verhalfen einem Projekt zum Erfolg.
Ein symbolischer Lohn
Meine Maturarbeit wurde zweimal ausgezeichnet, doch der grösste Lohn war die Reaktion der Flüchtlinge. Sie erkannten, dass ihre Schwäche eine Stärke sein kann und ihr Überlebenskampf eine Geschichte darstellt. Der Austausch hat allen Beteiligten neue Perspektiven eröffnet. Mich hat er aus der «Blase» als Kantonsschülerin befreit, den Flüchtlingen hat er neuen Raum zum Sprechen, Helfen und Leben geschaffen. So kam es, dass Mohammed mir vor meinen Maturaprüfungen Physikaufgaben erklärte. Zudem gaben sie mir zu verstehen, weshalb Alfred Escher nicht nur als Held angesehen wird, denn sein Erfolg gründet, unter anderem, auf der Ausbeutung von Immigranten.
In meiner Arbeit mit Flüchtlingen habe ich erkannt, dass man Menschen und Ziele durch Sprache erreichen kann. Gemeinsam die Welt besser verstehen, weil sich Blickwinkel ergänzen – welcome to school everybody!
*Name geändert
Dieser Beitrag ist als Erstpublikation auf Language matters – Blog für Sprache und Kommunikation der ZHAW erschienen.