Was die Schweiz von Kolumbien lernen kann, Weiterbildung als jährlichen WK absolvieren und Roger Köppel als Wunsch-Diskussionspartner: Wir haben mit Daniel Jositsch, Ständerat, Jurist und Professor an der Universität Zürich, über Bildung gesprochen und auch in die Zukunft geblickt. Als Mitglied in Führungsgremien bei der HWZ, dem SIB und beim KV Schweiz kennt er das duale Bildungssystem der Schweiz bestens.
Welche Bedeutung nimmt die Bildung für Sie in der Politik und in der Wirtschaft ein?
Man kann immer das berühmte Bild mit dem Rohstoff bringen, welches auch zu einem gewissen Grad stimmt: Bildung ist der Rohstoff eines Landes, mit dem man sogar handeln kann. Es geht dabei nicht nur um die Spitzenforschung, sondern auch um alltägliche Aufgaben. Es ist eines der zentralen Themen für den Wirtschaftsstandort Schweiz und ebenso für deren Politik.
Was könnte man am Schweizer Bildungssystem noch verbessern?
Dies ist eine Frage der Perspektive. Ein bekanntes und schwierig zu lösendes Problem ist die internationale Anerkennung der Berufsbildung, da dieses Thema im Ausland nicht sehr bekannt ist. Da dies nicht einheitlich anerkennt ist, haben gewisse Schweizer und Schweizerinnen auf dem internationalen Markt manchmal Schwierigkeiten.
Ein weiteres Problem betrifft die jüngere Vergangenheit. In den letzten 20 bis 30 Jahren hat man sehr stark auf innovative pädagogische Konzepte gesetzt. Ich habe das Gefühl, dass man zu viele Reformen macht, denn die klassischen Bildungssysteme sind mindestens noch so gut wie moderne Konzepte. Meines Erachtens bringen diese Modernisierungen nicht immer einen wesentlichen Mehrwert und etwas mehr Stabilität könnte nicht schaden.
Sie haben gerade Innovation erwähnt. In diesem Kontext stehen auch Digitalisierung und Globalisierung. Informatik wird immer wichtiger und die internationale Vernetzung wirkt sich auch auf das Schweizer Bildungssystem aus. Kommen die Politik und die Wirtschaft bei sich rasch ändernden Rahmenbedingungen noch nach, das Schulsystem auf die Zukunft auszurichten?
Die Frage ist eigentlich, ob man das Schulsystem wirklich nach jedem modernen Trend ausrichten muss.
Die Frage ist eigentlich, ob man das Schulsystem wirklich nach jedem modernen Trend ausrichten muss. Die Wirtschaft kann sich sehr rasch anpassen, da sie nah am Markt ist. Wenn der Markt sich wandelt, wandelt sich automatisch auch die Wirtschaft. Es braucht aber ein gewisses Fundament – die Bildung sollte den Menschen daher mit einer gewissen Grundausstattung ausrüsten. Ich finde das heutige Bildungssystem durchaus sinnvoll. Bei der Volksschule haben wir eine gewisse langfristige Stabilität und die Berufsbildung passt sich dynamisch dem Markt an.
Die jungen Schülerinnen und Schüler von heute werden in einem Beruf arbeiten, den es heute noch gar nicht gibt. Wie soll sich hier ein Schüler für die richtige Lehre oder das richtige Studium entscheiden?
Die Dynamik ist heute so stark, dass es den Beruf, den man mit 16 Jahren erlernt, voraussichtlich gar nicht mehr gibt, wenn man pensioniert wird. Den Menschen sollte man daher mit auf den Weg geben, dynamisch zu bleiben. Das heisst konkret: Weiterbildungen machen und nicht stehen bleiben. Eindrücklich ist dabei, dass von allen KV-Absolventen etwa 92 Prozent direkt nach der Grundbildung eine Weiterbildung absolvieren. Im Arbeitsprozess sollte man die Möglichkeit haben, eine Weiterbildung machen zu können. Es gibt jedoch Phasen im Leben, in denen man aufgrund des Jobs und der Familie keine Zeit für eine Weiterbildung hat. Ungefähr im Alter von 35 Jahren besteht dann die Gefahr, dass Menschen den Anschluss verlieren. Plötzlich ist man 50 Jahre alt und im Betrieb steht eine Umstrukturierung an – dann zeigt sich die Marktfähigkeit der betroffenen Person relativ schnell.
Die Schwierigkeit für die berufliche Weiterbildung liegt oft in der fehlenden Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Weiterbildung. Wie kann die berufliche Weiterbildung trotzdem gefördert werden?
Wenn man es einfach dem Arbeitgeber auferlegt, ist es nicht wirklich am passenden Ort. Einseitig das ganze Thema der Wirtschaft aufzuerlegen, führt dazu, dass Unternehmen weniger Arbeitnehmer anstellen. Es ist eher ein gesellschaftliches Problem. Die berufliche Weiterbildung ist meines Erachtens eine Bürgerpflicht, die man auch mit dem Militärdienst vergleichen kann. Man könnte beispielsweise bis man 35 Jahre alt ist, Militärdienst leisten. Dabei macht man jährlich drei Wochen WK. Ab 35 könnte man dann jedes Jahr drei Wochen in die Weiterbildung investieren. Dies könnte auch der Staat zahlen, denn wenn es aufgrund einer fehlenden Ausbildung zu einer Arbeitslosigkeit kommt, muss ebenfalls der Staat finanziell unterstützen.
Das duale Bildungssystem hat in der Schweiz einen hohen Stellenwert. Wird dies Ihrer Meinung nach auch in Zukunft in der gleichen Form so bleiben?
Die Wirtschaft hingegen rekrutiert tendenziell immer mehr Fachhochschüler als universitäre Abgänger.
Ich denke schon, denn es spricht alles für eine duale Bildung. Etwas, was sich in der Praxis bewährt, sollte in der Regel bestehen bleiben. Es gibt viele ausländische Fachkräfte, die in die Schweiz kommen und sich anschauen, wie dies gemacht wird. Es ist doch besser, wenn sich ein Elektriker im Betrieb praktische Grundlagen – wie etwa den Umgang mit einer Steckdose – aneignet und im Rahmen der Weiterbildung als Ergänzung theoretisches Wissen erlangt. Um dies zu ermöglichen, gibt es in der Schweiz eine Vielzahl von guten Angeboten. Es ist hierzulande ein Erfolgsmodell, jedoch ist es gesellschaftlich noch nicht angekommen. Die Wirtschaft hingegen rekrutiert tendenziell immer mehr Fachhochschüler als universitäre Abgänger. Ich glaube, die rein theoretischen Fächer an Hochschulen werden abnehmen und praxisorientierte eher zunehmen. Jede gesellschaftliche Veränderung braucht aber eine bis zwei Generationen.
Die Volksschule ist gemäss Ihrer Website “das Fundament unserer Gesellschaft”. Wie setzen Sie sich für die Stärkung dieser Institution ein?
Ich war sechs Jahre lang Schulpräsident und war daher in meiner Gemeinde für die Volksschule zuständig. Daher glaube ich, meinen Beitrag geleistet zu haben. Jetzt setze ich mich für die Fachhochschul-Ebene sowie den Bereich der dualen Bildung ein. Aktuell bin ich daher für die Volksschule nicht sehr engagiert. Das Wesentliche ist aber, dass wir eine qualitativ sehr hochstehende und für jeden zugängliche Volksschule haben.
Sie waren Geschäftsführer der Schweizerisch-Kolumbianischen Handelskammer in Bogotá, Kolumbien. Was kann die Schweiz von Kolumbien lernen?
In der Schweiz lebt man in der Vergangenheit und in der Zukunft.
Es gibt vieles, was die Schweizerinnen und Schweizer lernen können. Als Beispiel natürlich die allgemeine Lebenseinstellung. Die Kolumbianerinnen und Kolumbianer gehen anders und optimistischer durchs Leben. In der Schweiz lebt man in der Vergangenheit und in der Zukunft. Viele fragen einen hier, wie das letzte Wochenende war oder was man nächsten Samstag und Sonntag geplant hat – wir vergessen aber die Gegenwart. Daher denke ich, dass es in der Schweiz noch eine bessere Mischung geben könnte. Und dann natürlich auch Salsa tanzen!
Sie haben an der Universität St. Gallen Rechtswissenschaften studiert und auch promoviert. Was war das Wichtigste, das Sie in dieser Zeit gelernt haben?
Sicherlich das Fach Rechtswissenschaften. Was aber die HSG ausmacht, sind zwei Punkte. Einerseits gibt es sehr motivierte Studierende, was zu einem gewissen „Drive“ führt. Andererseits war ich in einer Studierendenverbindung. Dies war eine sehr wertvolle Erfahrung. Man lernt, was Freundschaft und Verantwortung bedeuten. Auch der Spass kam nicht zu kurz.
Wenn Sie nochmals studieren würden und es nicht mehr „Recht“ sein dürfte, für welches Studium würden Sie sich entscheiden und warum?
Kunstgeschichte. Dies interessiert mich sehr. Ich gehe gerne in Museen, Bilder faszinieren mich. Daher wüsste ich gern mehr darüber.
Bei welchem Stände- oder Nationalratskollegen würden Sie gerne mal eine Vorlesung besuchen?
Es gibt viele spannende Personen und daher ist es eine schwierige Frage. Wer aber für mich als Gesprächs- oder Diskussionspartner interessant wäre, ist Roger Köppel. Er ist ein kritischer Geist und rhetorisch sehr begabt. Er bringt ganz andere Themen auf, als ich mir sonst überlege. Man wird extrem herausgefordert, wenn man mit ihm diskutiert.
Daniel Jositsch
Ausbildung
Daniel Jositsch absolvierte die Kantonsschule Stadelhofen und studierte von 1985 bis 1990 Rechtswissenschaft an der Universität St. Gallen (HSG). Seit dem Studium ist er Mitglied der Studentenverbindung AV Bodania.
Berufliches
Er war direkt nach dem Studium Geschäftsführer der Schweizerisch-Kolumbianischen Handelskammer in Kolumbien – er besitzt auch den kolumbianischen Pass. Zurück in der Schweiz erwarb er das Anwaltspatent und ist als selbständiger Anwalt tätig. Im Jahr 2004 wurde er an der Universität Zürich zum Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und strafrechtliche Hilfswissenschaften ernannt.
Politik
Jositsch gehörte früher der Grünen Partei an, hat aber zur SP gewechselt. 2007 wählte man ihn in den Zürcher Kantonsrat. Kurz darauf wechselte er aber schon in den Nationalrat. Seit 2015 ist Jositsch Mitglied des Ständerats und vertritt den Kanton Zürich.
Mandate
Seit 2011 ist Daniel Jositsch Präsident des KV Schweiz. Zudem ist er an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) sowie dem Schweizerischen Institut für Betriebsökonomie (SIB) im Verwaltungsrat und als Beirat an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) tätig.