«Die Digitalisierung wird enorme Auswirkungen auf die Schule haben»

Innert kürzester Zeit haben Schulen digitale Tools eingeführt. Dies wäre vor Corona so schnell nicht möglich gewesen. Was wird sich hinsichtlich Digitalisierung im Bildungsbereich noch verändern? Welches Verbesserungspotential gibt es im Schweizer Bildungssystem? Wie entwickelt sich der Lehrerberuf in den nächsten Jahren?


Darüber haben wir mit Rahel Tschopp gesprochen. Sie leitet ab Oktober den neuen Bereich «Weiterbildung, Dienstleistungen und Beratung» der Pädagogischen Hochschule Zug (PH Zug). Die Primarlehrerin, Heilpädagogin und Schulleiterin ist seit mehr als zwanzig Jahren in der Lehrerweiterbildung tätig.

«Ich freue mich, dieses breite Aufgabengebiet zusammen mit einem vielfältigen und motivierten Team anzupacken.»

Auf was freuen Sie sich bei Ihrer neuen Stelle am meisten?

An der PH Zürich habe ich den Bereich Medienbildung und Informatik geleitet. Neu bin ich an der PH Zug für den Leistungsbereich «Weiterbildung, Dienstleistungen, Beratung» zuständig. Ich freue mich, dieses breite Aufgabengebiet zusammen mit einem vielfältigen und motivierten Team anzupacken.

Von welchem Beruf haben Sie als Kind geträumt?

Von keinem; ich war sehr gerne Kind. Ich machte viel Sport, spielte stundenlang, las sehr viel und wollte damals nicht so weit voraus denken.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf den Unterricht?

Viele Schulen haben in kürzester Zeit digitale Tools eingeführt. Oft habe ich solche Aussagen gehört: «Wir sind ein Jahr schneller als geplant». Einige Schulen haben den Freiraum genutzt, um offenere, neue Unterrichtssettings bewusst auszuprobieren. Welche Auswirkungen diese Corona-Zeit wirklich haben wird, ist für mich momentan die grosse Frage. Hier sammle ich konkrete Anliegen aus dem Bildungsbereich. Das selbständige Arbeiten in Gruppen, mehr Zeit für Projekte, kreative Aufgabenstellungen werden beispielsweise als mögliche Auswirkungen genannt.

Was wird die Digitalisierung im Bildungsbereich noch verändern?

«Viele Tätigkeiten und Abläufe werden in Zukunft automatisiert und digitalisiert.»

Sehr vieles; wir stehen erst am Anfang. Viele Tätigkeiten und Abläufe werden in Zukunft automatisiert und digitalisiert. Das wird enorme Auswirkungen auf die Schule haben. Die Beziehung zwischen den Kindern und der Lehrperson wird noch wichtiger, die überfachlichen und sozialen Kompetenzen gewinnen verstärkt an Bedeutung.

Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial im Schweizer Bildungssystem?

Unser Bildungssystem ist grundsätzlich sehr gut. Der Fokus darf und soll noch stärker auf das «Lernen» anstatt auf das «Lehren» gelegt werden. Empathie, Vorstellungsvermögen, Kooperationsfähigkeit und komplexes Denken werden für die kommenden Generationen immer wichtiger werden. Traditionen und altüberlieferte Vorgaben müssen auf ihre heutige Sinnhaftigkeit hinterfragt werden.

Wie entwickelt sich der Beruf der Lehrperson in den nächsten 20 Jahren?

«Die Schule wird zu einem offenen Lernort.»

Dann wird es keinen Stundenplan im 45-Minuten-Takt mehr geben, das Lernen in den herkömmlichen Fächern wird nur noch einen kleinen Teil des Alltags ausmachen. Die Schule wird zu einem offenen Lernort. Das Analoge und das Digitale werden immer stärker verschmelzen. Die Kinder lernen in gemeinsamen Projekten und werden dabei mit ExpertInnen und Peers aus der ganzen Welt in Kontakt sein. Die Lehrperson wird die Kinder auf ihrem Lernweg begleiten und unterstützen, ihnen zielgerichtete Inputs geben und verschiedene Lernsettings zur Verfügung stellen.

Wie wird die Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung der Zukunft aussehen?

«Unsere Kinder werden Berufe ausüben, die es heute noch nicht gibt.»

Unsere Kinder werden Berufe ausüben, die es heute noch nicht gibt. Was sie studieren oder welchen Beruf sie erlernen, wird nicht mehr so wichtig sein. Die Durchlässigkeit ist heute schon sehr gross. Zentral werden überfachliche Kompetenzen sein, wie z. B. kritisches Denken, kooperatives Arbeiten.

Wenn Sie nochmals studieren könnten: Für welches Studium würden Sie sich anmelden?

Ich bin in der privilegierten Lage, dass ich auch heute noch ein Studium absolvieren kann, wenn ich dies will. Rückblickend würde ich wahrscheinlich mit einem Betriebswirtschaftsstudium in meine Berufslaufbahn starten.

Auf welche beruflichen Leistungen sind Sie besonders stolz?

Mit meinem Team an der PH Zürich durfte ich sehr viele neue Wege gehen – und Wegbereiterin sein für zahlreiche Lehrpersonen. Wir haben – symbolisch – gemeinsam sehr viele Gräben überwunden und hohe Berge bestiegen. Einerseits bin ich stolz auf unsere Produkte, anderseits auch auf unsere Arbeitsweise.

Welches sind die grössten Herausforderungen für Lehrpersonen in der heutigen Zeit?

Der digitale Wandel durchdringt die Schule in allen Bereichen: In der Struktur, Organisation und im Hauptgeschäft, der Arbeit mit den Kindern. Das benötigt von den Lehrpersonen eine lebenslange Bereitschaft, selber zu lernen und sich auf Neues einzulassen.

Wird LehrerInnen und DozentInnen genügend Wertschätzung entgegengebracht?

«Viele Eltern haben ihre Dankbarkeit den Lehrpersonen gegenüber öffentlich geäussert»

Ein Thema, das mit vielen Emotionen verbunden ist. Wer von uns will nicht noch mehr Anerkennung erhalten? Die Corona-Zeit hat ausgelöst, dass viele Eltern und Lehrpersonen intensiver im Kontakt standen als sonst. Viele Eltern haben ihre Dankbarkeit den Lehrpersonen gegenüber öffentlich geäussert: über Social Media wie aber auch in den Print-Medien.

Bei welcher berühmten Persönlichkeit würden Sie heute gerne mal als «Schülerin» in den Unterricht sitzen und etwas lernen? Und warum?

Jane Goodall, die Schimpansenforscherin, würde ich gerne persönlich kennen lernen – aber lieber draussen und handelnd als in einem Schulzimmer. Ihre Vision, ihr Bewusstsein für die Natur, ihr Durchhaltevermögen, ihre Standhaftigkeit und gleichzeitig ihre geistige Beweglichkeit beeindrucken mich.

Pädagogische Hochschule Zug (PH Zug)
Die Pädagogische Hochschule Zug (PH Zug) ist seit August 2013 eine eigenständige Pädagogische Hochschule mit Standort in Zug mit rund 350 Studierenden sowie 120 Mitarbeitenden. Die PH Zug ist die erste Hochschule des Kantons Zug. Der vierfache Leistungsauftrag der PH Zug umfasst Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung sowie Dienstleistungen. An der PH Zug sind zwei Forschungs- und Entwicklungsinstitute und ein Zentrum angesiedelt.