«Morgenstund hat Gold im Mund» – diese alte Weisheit traf überhaupt nicht auf meinen ehemaligen WG-Kollegen zu, denn sein Tag begann zur Mittagszeit mit dem “Frühstück.” Allmählich wärmte sich sein Ingenieur-Hirn während des Tages auf, bis er schliesslich um etwa zwei Uhr morgens fieberhaft-Formeln-kritzelnd an seinem Schreibtisch sass und seine (morgens verpasste!) Vorlesungen nachholte. Von zwei bis vier Uhr morgens, das sei seine produktivste Zeit, hatte er mir dann am nächsten Tag gähnend am Mittagstisch versichert. Hast du dich auch schon gefragt, warum du, wie vielleicht mein WG-Kollege, an unkonventionellen Zeiten wacher und intellektuell leistungsfähiger bist? Lese weiter und finde heraus, was dies mit deinem Chronotypen zu tun hat und wie du anhand dessen deine Lern- und Arbeitszeiten planen kannst.

Was sind Chronotypen?

Jeder Mensch hat eine individuelle Ausprägung der inneren « biologischen Uhr», oder fachlich ausgedrückt der «circadianen Rhythmik». Dieser sogenannte Chronotyp regelt den Schlaf-Wachrhythmus. Auch Blutdruck, Körpertemperatur, Hormonspiegel und Stoffwechsel variieren je nach Chronotyp und Tageszeit. Am wichtigsten für die persönliche Lernplanerstellung ist jedoch, dass die kognitive Leistungsfähigkeit je nach Chronotyp innerhalb einer 24-Stunden Periode stark schwanken kann. Der Chronotyp eines Menschen kann sich ausserdem auch über ein Leben hinweg ändern, sodass Jugendliche biologisch gesehen ganz andere physiologische Rhythmen haben als Pensionierte.

Von der «Lerche» bis hin zur «Eule» – was für ein Chronotyp bist du?

Man unterscheidet grob zwischen «Lerchen» (Frühaufstehern) an einem Ende des Spektrums und «Nachteulen» am anderen Ende, wobei sich die Mehrheit der Population irgendwo dazwischen befindet (siehe Grafik zur Chronotypverteilung unten). Unsere gesellschaftlichen Strukturen favorisieren während der Arbeitswoche eher Lerchen und andere Frühtypen, wie beispielsweise den Apple CEO Tim Cook oder Napoleon Bonaparte. Diese haben jedoch an den langen Abenden des Wochenendes im Vergleich zu Spättypen wie Präsident Obama, Churchill oder Leonardo da Vinci den Kürzeren gezogen. Es können sowohl für ausgangslustige Lerchen wie für frühaufstehende Eulen grosse Schlafdefizite entstehen. Langfristig führen grosse Diskrepanzen zwischen idealem Schlafverhalten und den ausgelebten Wachstunden jedoch besonders bei Eulen zu Anpassungsverhalten wie hohem Kaffee-, Nikotin- und Alkoholkonsum (siehe «Warum Eulen zu Rauchern werden»).

Chronotypverteilung – Quelle: Michael Schoenitzer, Institut für medizinische Psychologie, Zentrum für Chronobiologie (Wikimedia Commons)

Deine «goldene Stunde»

Anhand Bestsellerautor Daniel H. Pink (wie in seinem Buch  «When – Der richtige Zeitpunkt» beschrieben) durchgehen alle Chronotypen in einem Wachzyklus generell drei Phasen: Höhepunkt, Talsohle und Erholung. Für Lerchen und Normaltypen ist die Stimmungslage und die Wachsamkeit morgens am besten, flaut am Mittag und Nachmittag drastisch ab und erholt sich wieder am frühen Abend, wobei die abendliche Erholungsphase mit einem geringeren Konzentrationsvermögen verbunden ist. Bei Eulen ist diese Reihenfolge jedoch genau umgekehrt. Ihre produktivste Zeit beginnt erst am Nachmittag und reicht bis in die frühen Morgenstunden hinein.

Wann solltest du nun also deine Lernzeit einplanen? Wenn du dich als Lerche oder Normaltyp identifizieren kannst, dann bewältige deine anstrengendste Denkarbeit am besten morgens; als Eule solltest du dich jedoch erst spätnachmittags und abends auf schwierige Fächer konzentrieren. Für alle Chronotypen ist es empfehlenswert, Routinearbeit wie das Beantworten von E-Mails oder das Bearbeiten unbedeutender administrativen Arbeiten während der Talsohlenphase zu erledigen. Kreative Arbeit hingegen passt besonders gut in die Erholungsphase, da trotz schwächeren analytischen Fähigkeiten eine entspannte Aufmerksam vorhanden ist.

Nun weisst du, egal ob Lerche, Eule oder etwas zwischendrin, wie du deine Tagesstruktur anhand deines Chronotypen organisieren kannst. Deine «goldene Stunde» eignet sich nebenbei nicht nur für Denkarbeit, sondern auch für das Fällen von wichtigen Entscheidungen, für wichtige Besprechungen und für all die Aktivitäten, die dir persönlich wichtig sind. Natürlich ist es nicht immer möglich, den Terminkalender anhand deines Chronotyps zu gestalten. Doch den Respekt und das Verständnis für die eigenen Grenzen und Fähigkeiten werden dir erlauben, immer mehr deines Potentials auszuschöpfen, egal zur welchen Tages(Nacht-)zeit.

Fotos: unsplash