Der Lockdown im Frühling zwang Hochschulen in kürzester Zeit auf Fernunterricht umzustellen. Eine immense Herausforderung, die sich rückblickend gelohnt hat, da diesen Herbst aufgrund der zweiten Welle nochmals auf digitale Formate umgestellt werden musste. Die Bildungsplattform eduwo sowie drei Hochschulen ziehen Bilanz und schauen in die Zukunft.

Viel Zeit hatten die Schulen im Frühling nicht: Von der Ankündigung, dass kein Unterricht vor Ort mehr stattfinden könne, bis zur Umsetzung lagen nur drei Tage. Der Faktor Zeit war mit Sicherheit eine der grössten Herausforderungen überhaupt. Schweizer Hochschulen gelten generell als gut ausgestattet und die über die Jahre aufgebauten Netzwerke fingen die sprunghaft starke Nutzung gut auf. Anfängliche Unsicherheiten und die Phase des Umbaus waren in der Regel schnell überstanden. Das gilt für eine grosse Hochschule wie die Zürcher ETH mit rund 20’000 Studierenden ebenso wie für die vergleichsweise kleine Pädagogische Hochschule Zug (PH Zug) mit knapp 400.

Astrid Fritschi vom Prorektorat der Universität Zürich bringt die tatsächlichen Herausforderungen so auf den Punkt: „Bei manchen Software-Lösungen standen wir unvermutet vor komplexen rechtlichen Fragen.“ Eine Frage, die vor allem Datenschutz und Sicherheit berührt. Der Kanton Zürich erstellte beispielsweise eine Liste mit Anwendungen, von denen einige nach Ende der ausserordentlichen Lage im Zweifelsfall wieder gelöscht werden müssen. „Ausserdem mussten die Dozierenden klären, wie unter den besonderen Umständen Leistungsnachweise erbracht werden können,“ erläutert sie.

Eine Krise schafft Offenheit

Raphael Tobler ist Geschäftsführer der Bildungsplattform eduwo.ch. Anhand des Feedbacks der Studierenden ergänzt er: „Anfangs standen die Schulen und Hochschulen vor einer grossen Herausforderung und es war nicht immer klar, wie es effektiv mit den Vorlesungen oder den Prüfungen ausschauen wird. Jedoch wurde im Eiltempo das komplette Semester digitalisiert und die Studierenden sind mehrheitlich der Meinung, dass das im Endeffekt ganz gut geklappt hat.“ 

Die letzten Monate bewiesen, dass die Rahmenbedingungen wenig Einfluss auf die grundsätzliche Funktion der Hochschulen hatten, sagt die Universität Zürich: „Selbst eine grosse Volluniversität mit vielen Fakultäten und Fachbereichen kann sich schnell auf Sondersituationen einstellen und bleibt handlungsfähig. Universitäre Bildung wird durch äussere Faktoren nur begrenzt eingeschränkt.“ Eine nahezu nahtlose Weiterführung vieler Lehrveranstaltungen war möglich und zahlreiche Stoffe lassen sich gut digital vermitteln. Nur die Praktika bereiteten Kopfschmerzen. „Laborpraktika lassen sich selbst mit viel Kreativität nur unvollständig online abbilden,“ schränkt die Medienstelle der ETH ein.

Zeit für Rückschau und Evaluierung

Die Krise legte vor allem offen, was möglich sein könnte: „Wir haben neue Chancen erkannt und müssen dort nachfassen, um sie nachhaltig in die Zukunft zu führen,“ erklärt die ETH. Das Gleiche gilt für die PH Zug, die das Distance Learning als echten Digitalisierungsschub begreift: „Bedingt durch die Umstände hat sich jedem gezeigt, dass digitale Angebote wie z. B. Videokonferenzen nicht nur technische Optionen sind, sondern reale Sitzungen, Seminare oder Bewerbungsgespräche ersetzen können“, so Luc Ulmer, Leiter Kommunikation und Marketing der PH Zug.

Die Erfahrungen der letzten Monate werden ausgewertet. Die PH Zug hat sich für einen Think Tank entschieden, der mit Studierenden und Dozierenden besetzt wird. Zahlreiche positive Erfahrungen sprechen dafür, bestimmte Elemente in die Zusammenarbeit aufzunehmen. „Die Coachings der Beratungsstelle für Bildungsfachleute kamen bei vielen Teilnehmenden sehr gut an. Sie seien fokussierter und konzentrierter gewesen, als bei Gesprächen im Sitzungsszimmer,“ berichtet die Pädagogische Hochschule.

Wie sieht die Lehre der Zukunft aus?

„Eine konkrete Perspektive kann jetzt noch nicht abgeleitet werden,“ signalisiert die ETH, dennoch lassen sich Tendenzen ablesen. „Ganz sicher wird die Nutzung digitaler Lerntechnik differenzierter,“ sagt die UZH. „Wo deren Einsatz einen Mehrwert aufweist, werden sie künftig öfter auftauchen.“ Neue Möglichkeiten zur Verknüpfung digitaler Settings mit klassischen Lehr- und Forschungsmethoden werden gewiss schneller erprobt als bisher. Raphael Tobler von eduwo meint dazu: „Es zeigte sich schon vor der Krise, dass digitale und flexible Formate für den Unterricht und die Prüfungen für Studierende wichtig war“.

Zwar kann die Vermittlung von Stoff online ebenso gut funktionieren wie vor Ort, doch die persönlichen Kontakte vermissten sowohl Dozierende als auch Studierende. Vor allem spontane Rückmeldungen fehlten, die oft eine schnelle Einordnung oder Klärung von Fragen ermöglichen. Ein interessanter Nebeneffekt ergab sich in Zug. Die Studierenden absolvierten im Frühjahr eines der längsten Schulpraktika, das überraschenderweise zu einem Plus führte: „Die angehenden PädagogInnen hatten deutlich mehr Kontakt zu den Eltern der SchülerInnen als üblich, weil sie aufgrund des Fernunterrichts wöchentlich mit den Familien telefonierten. Dadurch erhielten sie wertvolle Erfahrungen in der Elternarbeit, die sonst erst später anfällt.“

Digitalisierung ist kein Sparfaktor

Zwar ist die bestehende Ausstattung gut, doch jeder Ausbau erforderte entsprechende Budgets. Dazu gehören neben offensichtlichen Investitionen in Speicherkapazitäten oder Rechnerleistung auch schwerer zu erkennende.

Finanzielle Vorteile spielen in der künftigen Entwicklung eine untergeordnete Rolle. Die ETH legt Wert darauf, die Erweiterung der digitalen Lehre nicht mit dem Rotstift zu begleiten: „Wir sprechen von einer Investition in die Zukunft, bei der der Nutzen im Vordergrund stehen sollte. Wir arbeiten hin auf eine pädagogisch sinnvolle Mischung, die zu mehr Lernerfolg unter besserer Ausnutzung der Ressourcen führt.“

Diese Perspektive teilt die PH Zug: „Die Aufbereitung von digitalem Unterricht ist letztlich genauso zeitintensiv wie der Präsenzunterricht und die Schulung der Dozierenden wird ein zentrales Element unserer Digitalisierungsstrategie.“ Von jeder Form der Digitalisierung müssen schlussendlich alle Seiten profitieren: Die Dozierenden, die Mitarbeitenden und die Studierenden.

Die Planungen in vollem Gange

Die Digitalisierung von Lerninhalten und Prüfungen ist keinesfalls das Ende des Präsenzunterrichts, sagen die Hochschulen unisono. „Die Mischverhältnisse von Präsenzlernen, kooperativem Lernen und Selbststudium werden sich neu austarieren,“ prognostiziert die Universität Zürich. Seminarräume und Hörsäle bleiben vor allem dann erhalten, wenn die Studierenden von den Begegnungen profitieren. Das ist ein vergleichsweise weites Feld. Nicht nur für Bereiche, die auf spezielle Räume wie Labore angewiesen sind. Auch die PH Zug setzt ihren Schwerpunkt weiter auf den persönlichen Kontakt: „Ein grosser Teil des Unterrichts findet in überschaubaren Gruppen statt und er wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen.“

Raphael Tobler von eduwo zieht ebenfalls positive Schlüsse aus der Umstellung und ergänzt: „Die Corona-Krise war ein erster Schritt zur Digitalisierung des Unterrichts. Die Zukunft wird dann zeigen, wie die Balance zwischen Online- und Präsenzunterricht sein wird.“

Wie geht es weiter? Mittel- und langfristig nimmt der digitale Teil sicher zu. Viel präziser als das lässt es sich derzeit kaum zusammenfassen. Klar ist, dass die weitestgehend positiven Erfahrungen während der Krisenzeit die Digitalisierung massiv ankurbeln und aus dieser Perspektive heraus bewahrheitet sich eine alte Binsenweisheit: In jeder Krise steckt eine Chance.

Bilder: unsplash / pexels