«Mehrsprachigkeit öffnet Augen und schafft Akzeptanz»

Muriel Martin redet gerne. Und sie redet viel. Nicht nur während ihres Studiums am Departement Angewandte Linguistik, sondern immer. Und was mich am meisten beindruckt: Muriel redet mehrsprachig – in vier Sprachen. Und das jeden Tag. Per Videochat durfte ich meine Studi-Kollegin Muriel, die im Bachelor Angewandte Sprachen studiert, kennenlernen.

Bereits im jungen Alter merkte Muriel, wie wichtig Mehrsprachigkeit ist: «Ich brauchte von klein auf Deutsch und Französisch, sonst hätte ich nur mit einem Teil meiner Eltern sprechen können», erklärt sie. Sie ist im Kanton Waadt zur Welt gekommen. Ihr Papa ist Welscher und ihre Mama kommt aus dem Appenzell. Heute studiert Muriel Angewandte Sprachen mit Vertiefung Mehrsprachige Kommunikation im 4. Semester und hat sich nebst Englisch eine weitere Fremdsprache angeeignet: Arabisch.

«Manchmal spreche ich sogar zu viel»

Gewählt hat Muriel die Vertiefung Mehrsprachige Kommunikation, weil da der Fokus auf der Mündlichkeit liegt. «Ich habe schon immer lieber gesprochen als geschrieben. Manchmal sogar etwas zu viel für manche Menschen», fügt sie lachend hinzu. Nebst ihrem Studium arbeitet Muriel im Kino. Sie sei eine leidenschaftliche Filmguckerin. «Im Kino schicken meine KollegenInnen französisch sprechende Gäste oft zu mir. Da kommt mir die Mehrsprachigkeit zugute.»

«Mein grosses Ziel ist es, Konferenzdolmetscherin bei der UNO zu sein»

Der Wunsch, etwas mit Sprachen zu studieren, äusserte sich bei Muriel schon früh. «Zuhause waren Sprachen immer essenziell und später kam dann noch die Passion mit dem Reisen und das Interesse an fremden Kulturen hinzu», erklärt Muriel ihren Bezug zur Mehrsprachigkeit. Das Interesse an fremden Kulturen war es auch, welches Muriel zu ihrer 2. Fremdsprache, dem Arabisch, führte. «Ich war als Kind in Ägypten und habe mich dort in diese wunderschöne Schrift verliebt. In Marokko faszinierte mich die Kultur, da sie etwas komplett anderes ist als das, was wir hier kennen. Zudem verbinde ich arabisch mit schönem Wetter, Sonne und faszinierenden Geschichten.»

Schon zu Beginn des Studiums verband Muriel Sprachen mit Reisen. «Da die Reisebranche aber nicht so sicher ist und man nie weiss, was passiert, habe ich mich anders orientiert. Mein Hauptziel ist jetzt, Konferenzdolmetscherin bei der UNO zu sein.» Ausschlaggebend für diesen Berufswunsch sei ein Besuch mit der Schule bei der UNO gewesen. «Ich war so fasziniert von diesem Beruf. Deshalb möchte ich den Master im Konferenzdolmetschen machen. Übersetzen kann man auf so viele verschiedene Arten angehen und das finde ich spannend.»

Muriels Lieblingssprache sei aber nach wie vor ihre Muttersprache Französisch. «Das ist meine erste Sprache und hört sich melodisch und fein an in meinen Ohren», sagt Muriel. Wenn sie Französisch höre, dann fühle sie sich aufgehoben und leicht. Deutsch im Gegensatz sei für die Studentin schon immer eine harte Sprache gewesen. «Ich verbinde die deutsche Sprache mit Wut, weil sie grob und wütend tönt. In manchen Momenten bevorzuge ich deshalb situativ eine Sprache.» Muriel ist zwar billingue aufgewachsen, dies sei aber keinesfalls ein Muss für ihren Studiengang, klärt sie auf. Sie habe ja auch Englisch im Studium. «Solange man an Sprachen interessiert ist, ist man hier am Departement perfekt aufgehoben.»

«Wir sind Sprachprofis»

Ob denn mehrsprachige Menschen auch gleich Übersetzer sind, möchte ich wissen. Wie aus der Pistole geschossen antwortet Muriel «Nein». «Wir haben ein angeeignetes Wissen, klar, aber das gibt uns nicht das Recht, uns als Übersetzer zu bezeichnen. Wir haben ein Fach, welches uns die Basics vermittelt, deshalb sind wir aber immer noch Laien. Ich würde uns als Sprachprofis bezeichnen, da wir nebst der Sprache auch kulturelle Dinge lernen.» SprachstudentInnen seien zudem ambitioniert, sagt Muriel. Sie wollen immer noch eine und noch eine Sprache lernen und beherrschen. Von sich aus sei Muriel mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo sie «nicht mehr nach der Masse strebe, sondern eine Sprache so gut wie möglich können möchte.»

Als ich nach Klischees im Studium frage, winkt Muriel ab. Sie glaube nicht an Stereotypen. Vielleicht, so gibt Muriel zu, sind Studierende am IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen etwas pingelig punkto Grammatik und Aussprache. Für Muriel steht jedoch nicht die Grammatik an erster Stelle, sondern der Akzent. «Wenn man eine Sprache lernt, sollte man versuchen, auch seinen Akzent abzulegen. Du kannst eine Sprache erst dann, wenn man dir nicht mehr anhört, dass diese Sprache nicht deine Muttersprache ist – vom Akzent her. Dadurch, dass wir uns als Sprachprofis bezeichnen, achten wir natürlich sehr auf Korrektheit. Das Niveau der Muttersprache ist das höchste Ziel hier.»

Muriel erzählt mir auch von ihren Grosseltern. Diese hätten anfänglich nämlich nicht verstanden, wieso Muriel arabisch lernen möchte. «Meine Grosseltern gehören noch zur Alten Schule und für sie ist die arabische Kultur fremd und mit Stereotypen vorbelastet». Wie man mit kulturellen Unterschieden umgehe, werde den StudentInnen auch während des Studiums beigebracht. Dies sei bei solchen Gesprächen hilfreich.

«Mein Papa ist für mich eine Inspiration»

Im Studium hat Muriel gelernt, unter die Oberfläche zu schauen und die Art der Kommunikation zu analysieren. «Linguisten sind sehr aufmerksam und interpretieren Nachrichten.» Seit sie hier studiere, frage sie öfters nach: «Hey, wie meinsch du jetzt das wirklich?», damit sie es nicht falsch verstehe. Den direkten Kontakt zu Menschen ist ihr wichtig und durch die Sprache spüre sie diesen Austausch am besten. Muriels Sprachvorbild ist ihr Vater. «Mein Papa ist eine Inspiration. Er spricht französisch, deutsch und italienisch und switcht im Berufsalltag zwischen all diesen Sprachen – problemlos.» Muriel schliesst in einem Jahr den Bachelor Angewandte Sprachen ab und ist überzeugt, dass Mehrsprachigkeit Augen öffnet und Akzeptanz schafft. Nach diesem Gespräch bin auch ich überzeugt: Mehrsprachigkeit macht weltoffener. Sie ist der Schlüssel zum Tor der Welt.

Dieser Beitrag ist als Erstpublikation auf dem Blog Language Matters – Blog für Sprache und Kommunikation erschienen.