Präsident Junge CVP: «Jungpolitiker sollten frech sein.»

Interview

  1. Tino Schneider, weshalb sind Sie in der Politik? Was bewog Sie dazu, Jungpolitiker zu werden? In der Politik bin ich via Fussballplatz gelandet, nämlich als mich ein Mitspieler an ein Treffen der Jungen CVP Graubünden mitgeschleppt hat. Dort habe ich schnell festgestellt, dass sich die Gespräche nicht nur um Politik drehen, sondern dass auch das Gesellige einen hohen Stellenwert hat. Deswegen bin ich dann an weitere Treffen gegangen und habe festgestellt, dass mich auch die politische Haltung der JCVP sehr anspricht.
    Seit ich im Gymnasium war, habe ich mich immer mehr für Politik interessiert und auch immer den politischen Teil in der Zeitung gelesen. Die Regeln für das Zusammenleben bzw. -spiel innerhalb unserer Gesellschaft zu definieren, finde ich extrem spannend – gerade hier in der Schweiz, wo jeder einzelne Bürger Einfluss auf diese Entscheide nehmen kann. Da in der CVP Graubünden die Jungen stets einen hohen Stellenwert einnahmen, konnte ich auch davon profitieren, wurde schnell für Wahlen nominiert und wurde schlussendlich 2014 in den Grossen Rat gewählt. So hat meine politische Laufbahn relativ schnell an Fahrt gewonnen.
  2. Wie stellen Sie sich die „perfekte“ Schweiz in den nächsten fünf / zehn / fünfzehn Jahren vor?
    Die ideale Schweiz der kommenden Jahre sieht für mich so aus, dass wir endlich eine sozial verträgliche Reform der Altersvorsorge über die Bühne gebracht haben, die Steuerreform ohne weitere Verzögerungen zum Abschluss bringen konnten und auch die stets steigenden Gesundheitskosten in den Griff bekommen haben. Weiter sollen die politische Debatte und mediale Fokussierung wieder mehr auf den inhaltlichen Themen liegen und nicht mehr bei reinen politischen Schlagworten und populistischen Parolen, welche insbesondere die Polparteien zum Alltagsgeschäft gemacht haben. Davon profitiert vor allem die politische Mitte, in der die CVP die Leaderrolle einnehmen muss. Denn nur aus der Mitte heraus gelingen Lösungen für unsere politischen Fragen, welche breit getragen werden und langfristig das Beste für unsere Schweiz bedeuten.
  3. Wie haben Sie vor, auf die Digitalisierung zu reagieren? Konkrete Schritte?
    Um die Herausforderungen der Digitalisierung meistern zu können, braucht es bereits jetzt wichtige Grundlagen für die Zukunft. So müssen die Schülerinnen und Schüler vermehrt mit den benötigten Skills der Digitalisierung vertraut gemacht werden: zum Beispiel Informatik und soft Skills – also persönliche und soziale Kompetenzen. Weiter müssen Gesetze angepasst werden, welche künftig vermehrt aufkommende Arbeitsformen wie Freelancer, Job-Sharing oder Teilzeitpensen stärker berücksichtigen. Auch müssen im Bereich der Altersvorsorge Überlegungen gemacht werden, wie auf die neuen Arbeitsformen reagiert werden muss, ob das jetzige System überhaupt noch taugt oder ob neue Formen wie z.B. das bedingungslose Grundeinkommen wieder auf den Tisch kommen sollen.
  4. Was ist Ihr persönliches politisches Ziel für die Zukunft?
    Mein persönliches politisches Ziel waren die Grossratswahlen vom 10. Juni im Kanton Graubünden. Dort wurde ich wiedergewählt, womit ich mein Ziel erreicht habe. Nun beschäftige ich mich zuerst einmal mit dieser Aufgabe. Wobei, ein Amt auf nationaler Ebene würde mich eines Tages schon einmal reizen – für das bleibt aber noch genügend Zeit!
  5. Wie haben Sie vor, mehr Wähler zur Urne zu bringen, vor allem die Jungen?
    Gerade mit Social Media haben wir die Möglichkeit, so viele Menschen – insbesondere junge – wie noch nie zu erreichen. Dort können wir zielgruppengerecht unsere Positionen unter die Leute bringen. Das müssen wir ausnutzen. Aber auch der persönliche Kontakt wird in Zukunft der Schlüssel dazu sein, Junge für politische Anliegen zu sensibilisieren. Dazu sollen die Abstimmungsvorlagen leichter erklärt werden, wie z.B. mit easyvote. Und zu guter Letzt bin ich überzeugt, dass es an Schulen mehr Staatskundeunterricht braucht, damit die Jungen von heute auch auf die Wichtig- und Einzigartigkeit der direkten Demokratie sensibilisiert werden.
  6. Der Populismus erlebt einen Anstieg in den letzten Jahren – wie wollen Sie damit umgehen?
    Dem Populismus muss man mit Fakten begegnen und aufzeigen, dass nur mit guten Kompromisslösungen das Beste für die gesamte Gesellschaft erreicht werden kann. Weiter muss man den Leuten auch vermitteln, dass sie und ihre Anliegen von der Politik ernstgenommen werden.
  7. Haben Sie Ihr Studium oder Ihre Ausbildung bereits einmal abgebrochen oder stark verändert?
    Ich wusste eigentlich schon seit dem Untergymnasium, dass ich einmal Geschichte studieren möchte. Deswegen ist meine grösste Veränderung während des Studiums gewesen, dass ich nach meinem ersten Bachelorjahr mein Nebenfach „Öffentliches Recht“ abgewählt und Geschichte als Monofach (also ohne Nebenfach) weiterstudiert habe.
  8. Haben Sie einmal an einer Prüfung geschummelt? Haben Sie Tipps oder Ratschläge bezüglich Spicks?
    Während des Gymnasiums hab ich mir im Französisch ab und zu gewisse Vokabeln ins Etui gesteckt und wurde glücklicherweise nie damit erwischt. Auch die Rückseite eines Lineals eignet sich ganz gut – aber wer braucht schon ernsthaft ein Lineal an einer Französischprüfung?
  9. Wo sehen Sie Mängel oder Vorteile des Bildungssystems der Schweiz?
    Ich sehe das duale Bildungssystem als grössten Vorteil gegenüber dem Ausland. Gerade mit der Berufslehre haben wir einen einzigartigen Ausbildungsweg. Wir müssen schauen, dass diese auch in Zukunft weiter einen hohen Stellenwert geniesst und die Maturitätsquote nicht allzu stark ansteigt. Zudem ist es in der Schweiz dank der guten Unterstützungsmöglichkeiten grundsätzlich möglich, dass jeder diejenige Ausbildung geniessen kann, die er möchte – falls auch der Einsatz und Wille stimmen.
    Als Nachteil sehe ich momentan vor allem die Entwicklung an den Fachhochschulen an, welche immer mehr Kompetenzen wie die regulären Universitäten möchten. Auch dass viele Lehrstellen Jahr für Jahr unbesetzt bleiben, macht mir Sorgen. Wir müssen schauen, dass die Berufslehre gegenüber dem Gymnasium wieder attraktiver wird.
  10. Lehre oder Studium? Und wieso?
    Für mich persönlich das Studium, da ich unbedingt Geschichte studieren wollte. Falls das aus irgendwelchen Gründen nicht geklappt hätte, wäre beispielsweise eine KV-Lehre aber durchaus eine Option für mich gewesen.              
  11. Welcher Politiker wäre für Sie der beste Dozent? Und warum?
    Unser Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler wäre wohl ein ausgezeichneter Dozent. Er ist äusserst intelligent, wortgewandt und hat grosse Erfahrung als Politiker, der auf allen Staatsebenen und sowohl in Exekutive als auch Legislative aktiv war bzw. ist. Von diesem riesigen Erfahrungsschatz mehr zu erfahren, wäre sehr lehrreich.
  12. Haben Sie Tipps & Ratschläge, wie junge Menschen sich mehr in die Politik einbringen können? Oder haben Sie Ratschläge für andere Jungpolitiker?
    Frech sein, sich nicht so schnell entmutigen lassen und Verbündete suchen, welche deine Anliegen teilen. Zudem konnte ich stets davon profitieren, dass sich etablierte Politiker aus der Mutterpartei, wie zum Beispiel Nationalrat Martin Candinas, stets für uns Junge und unsere Anliegen eingesetzt haben. Es ist daher auch Pflicht der Mutterpartei zu schauen, dass die Jungen berücksichtigt werden.
  13. Was halten Sie für die wichtigsten Punkte, welche die Politik so schnell wie möglich behandeln muss?
    Wie ich bereits erwähnt habe, sind für mich die Reform der Altersvorsorge sowie die Verabschiedung der Steuerreform die momentan wichtigsten Punkte, welche von der Politik gelöst werden müssen. Aber auch die Klärung des Verhältnisses zur EU und die stetig steigenden Gesundheitskosten stehen zuoberst auf der Prioritätenliste.
  14. Wie sieht Ihr politischer Alltag aus und wie viel Zeit wenden Sie pro Woche oder Monat ungefähr für Ihr Amt auf? Und wie verbinden Sie das mit der Arbeit und dem Privatleben?
    Mein politischer Alltag ist sehr abwechslungsreich, da ich zwischen Kommissions- und Grossratssitzungen auf kantonaler Ebene und dem Präsidium der JCVP Schweiz auf nationaler Ebene immer auch zwei verschiedene Sichtweisen der Politik zu Gesicht bekomme. Gerade die Arbeit bei der Jungen CVP geschieht auf vollkommen freiwilliger Basis und findet meist am Abend nach der Arbeit statt. Insgesamt wende ich ca. 20 % für mein Grossratsmandat auf, während meine Ämter bei der CVP und JCVP je nach Phase hochgerechnet nochmals etwa 20 – 30 % in Anspruch nehmen. Somit bleibt nicht mehr allzu viel Freizeit übrig, dafür ist mir auch selten bis nie langweilig!
  15. Haben Sie auch schon Hassbriefe oder Hasskommentare erhalten?
    Ja, das kommt immer wieder vor, wenn man irgendwo in den Medien erscheint und seine politischen Positionen äussert. Ich gehe davon aus, dass dies bei Politikern der Polparteien aber noch extremer ist. Mit Beleidigungen und Beschimpfungen kann ich gut umgehen, wenn es aber zu (Mord-) Drohungen kommt, wird eine rote Linie überschritten, welche auch strafrechtlich verfolgt werden sollte. Glücklicherweise ist mir Letzteres noch nicht passiert. Von solchen Kommentaren darf man sich einfach nicht entmutigen lassen – auch wenn das manchmal einfacher gesagt als getan ist.

    Tino Schneider, 1991 geboren, und wohnhaft in Chur.
    Politische Aufgaben: Grossrat Kanton Graubünden (seit 2014), Präsident Junge CVP Schweiz (seit 2015).
    Studium: Geschichtsstudium an der Universität Bern und Luzern.
    Arbeit: PR- und Kommunikationsberater.
    Hobbies: Fussball, Rugby, Lesen, Reisen