SP-Nationalrätin Mattea Meyer: «Kinder mit bildungsfernem Hintergrund haben geringere Chancen.»

Interview

  1. Mattea Meyer, weshalb sind Sie in der Politik?
    Als Jugendliche empörte ich mich über die Ungerechtigkeiten auf der Welt. Ich wollte aber nicht nur wütend sein, sondern mich engagieren. Weil ich überzeugt bin, dass wir gemeinsam bestimmen können, wie wir als Gemeinschaft zusammenleben wollen.
  2. Wie stellen Sie sich die „perfekte“ Schweiz in den nächsten fünf / zehn / fünfzehn Jahren vor?
    Wir sind als Gesellschaft dann stark, wenn es allen gut geht und nicht nur ein paar wenigen. Eine Gesellschaft ist möglich und nötig, in der alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft und unabhängig davon, ob sie reich oder arm sind, gleichberechtigt miteinander leben können.
  3. Wie haben sie vor, auf die Digitalisierung zu reagieren?
    Digitalisierung ist Realität. Die zentrale Frage ist: Wer profitiert von den Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung bringt? Ein paar wenige (Konzerne) oder wir alle? Kommt beispielsweise der Effizienzgewinn dank Digitalisierung den Erwerbstätigen zugute, damit sie weniger arbeiten müssen – oder wird einfach der Unternehmensgewinn höher?
  4. Was ist Ihr persönliches politisches Ziel für die Zukunft?
    Ich liebe meinen Job als Nationalrätin. Gedanken über die Zukunft mache ich mir zurzeit nicht. Solange ich mit Leidenschaft und Engagement dabei bin, bleibe ich politisch aktiv. Das ist hoffentlich noch lange der Fall.
  5. Wie haben Sie vor, mehr Wähler zur Urne zu bringen, vor allem die Jungen?
    Politik findet nicht weit weg in Bern statt, sondern in unserem Alltag: Wir entscheiden mit unserer Stimme, ob es in Zukunft genügend bezahlbare Wohnungen und Lehrstellen gibt. Darüber rede ich mit vielen Klassen an Schulpodien.
  6. Der Rechtspopulismus erlebt einen Anstieg in den letzten Jahren – wie wollen Sie damit umgehen?
    Die Rechte treibt eine scheinheilige Politik: Sie begünstigt mit ihrer Politik die Reichen und Privilegierten, vergrössert damit die Ungleichheit und schafft soziale Unsicherheit. Als „Lösung“ auf diese Ungleichheit präsentiert sie eine Sündenbockpolitik, die die Benachteiligtsten trifft: Asylsuchende, Sozialhilfebeziehende, Armutsbetroffene, Ausländer*innen. Dem stellen wir eine glaubwürdige Alternative entgegen, die allen ein würdevolles Leben ermöglicht, soziale Sicherheit bietet und die Ungleichheit verringert. Indem wir bezahlbare Wohnungen, Mindestlöhne, anständige Arbeitsbedingungen oder starke Sozialwerke fordern.
  7. Haben Sie Ihr Studium oder Ausbildung bereits einmal abgebrochen oder stark verändert?
    Abgebrochen habe ich mein Studium nicht, aber ich wechselte nach dem Bachelor mein Hauptstudienfach für den Master – von Geschichte zu Geographie. Ich studierte bereits im Bachelor Geographie im Nebenfach und konnte für den Master auf Humangeographie als Hauptfach wechseln. Humangeographie befasst sich mit Menschen, ihren Lebensräumen und ihrem gesellschaftlichen Handeln. Das interessiert mich sehr, weshalb ich meinen Entscheid nicht bereue.
  8. Haben Sie einmal an einer Prüfung geschummelt? 
    Während dem Studium nicht. Aber zugegeben, im Gymnasium habe ich hin und wieder auf das Blatt der Banknachbarin geschielt. Wer nicht?
  9. Wo sehen Sie Mängel oder Vorteile des Bildungssystems der Schweiz?
    Wir haben qualitativ hochstehende öffentliche Schulen und vielfältige Bildungswege. Doch nach wie vor haben Kinder mit bildungsfernem Hintergrund geringere Chancen. Mit einer gezielten Frühförderung kann allen Kindern ein guter Start ins Leben ermöglicht werden. Dazu braucht es Tagesschulen, die Betreuung und Lernen unter einem Dach vereinen.
  10. Lehre oder Studium? Und wieso?
    Beides. Ich habe Mühe damit, das eine gegen das andere auszuspielen. Beide Wege sind gute Wege, die sich auch ergänzen können. Beide Wege müssen aber allen offenstehen, unabhängig davon, wie dick das eigene Portemonnaie ist. Dafür braucht es einen Ausbau der Stipendien.
  11. Welcher Politiker wäre für Sie der beste Dozent? Und warum?
    Ich höre gerne klugen, interessierten Menschen zu, die etwas zu sagen haben, aber gleichzeitig auch zuhören und sich auf andere Argumente einlassen können. Für mich ist die aktuelle SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr eine solche Person.
  12. Haben Sie Tipps & Ratschläge, wie junge Menschen sich mehr in die Politik einbringen können? Oder haben Sie Ratschläge für andere Jungpolitiker?
    Ob man als Parteimitglied Unterschriften für eine Initiative sammelt, Flüchtlingen Deutsch unterrichtet oder sich bei Greenpeace gegen die Klimakatastrophe einsetzt: Nur gemeinsam kann man etwas erreichen. Und man kann nur etwas erreichen, wenn man etwas wagt. Scheitern tut zwar weh, nichts tun ist aber einiges schlimmer.
  13. Was halten Sie für die wichtigsten Punkte, welche die Politik so schnell wie möglich behandeln muss?
    Die zunehmende Ungleichheit, weil mit ihr Unfreiheit und fehlende Gleichberechtigung einhergehen. Wenn sich ein paar immer mehr bereichern, geht das auf Kosten von allen anderen. Wer in sozialer Unsicherheit leben oder gar seine Heimat verlassen muss, kann kein freies Leben führen. Es braucht eine gerechtere Verteilung des gemeinsam erarbeiteten Reichtums. Das gilt in der Schweiz, aber auch weltweit.
  14. Wie sieht Ihr politischer Alltag aus und wie viel Zeit wenden Sie pro Woche oder Monat ungefähr für Ihr Amt auf? Und wie verbinden Sie das mit dem Privatleben?
    Viermal pro Jahr findet für drei Wochen die Nationalratssession in Bern statt. Das ist immer eine intensive Zeit. In der sessionsfreien Zeit habe ich Kommissionssitzungen, Podiumsdiskussionen, bereite Sitzungen vor, schreibe Vorstösse, lese mich in Themen ein, engagiere mich in Abstimmungskämpfen. Meine Wochen sind mit politischem Engagement und der Betreuung meines kleinen Kindes gut gefüllt. Umso mehr geniesse ich freie Abende und Wochenenden mit Familie und Freund(inn)en.
  15. Haben Sie auch schon Hassbriefe oder Hasskommentare erhalten?
    Ja, immer wieder. Insbesondere nach einem TV-Auftritt erhalte ich zahlreiche Mails und Briefe. Da sind positive darunter, aber auch Beleidigungen bis weit unter die Gürtellinie.

Mattea Meyer, Nationalrätin SP seit Dezember 2015, Co-Präsidentin SP Winterthur seit 2014; Co-Präsidentin Nationale Plattform zu den Sans-Papier
Geburtsdatum: 1987
Wohnort: Winterthur
Studium: MSc in Human- und Wirtschaftsgeographie
Hobbies: Ich geniesse Abende mit Freunden, Familie und gutem Essen, entdecke gerne unbekannte Orte und geniesse das Alleinsein beim Joggen.