Daniel Reumiller ist Leiter der BIZ Berufsberatungs- und Informationszentren des Kantons Bern und Präsident der Schweizerischen Konferenz für Beruf-, Studien- und Laufbahnberatung KBSB. Im Interview spricht er mit uns über die Bildungslandschaft der Zukunft, wieso persönliche Kompetenzen für Junge immer bedeutender werden und über die wichtigsten Fragen bei der Berufswahl.
Was wird heute von Jungen in der Berufswelt erwartet?
Die Frage lässt sich schwer so generell beantworten. Grundsätzlich kann man aber sicher sagen, dass neben den fachlichen Kompetenzen die persönlichen und sozialen Kompetenzen immer wichtiger werden. Mitarbeitende in Unternehmungen müssen mehr und mehr fähig sein, in Teams zu arbeiten, flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren und lernbereit zu sein. Und natürlich wird – quasi als Grundlage – Motivation und Leistungsbereitschaft vorausgesetzt.
Kennen Sie spannende Geschichten (z.B. vom Gärtner zum CEO)?
Es gibt unendlich viele spannende Geschichten. Wenn man heute die Lebensläufe von CEO’s oder hohen Kadern etwas analysiert, staunt man, wie viele von ihnen z.B. über eine Berufslehre eingestiegen sind und es, oft in gar nicht so linearen Bahnen, sehr weit gebracht haben. Dasselbe gilt auch für Hochschul-Absolventen, die oft vielleicht nach ein paar Jahren etwas völlig anderes tun, als sie vielleicht zu Beginn des Studiums gedacht haben. Der hierarchische Aufstieg ist da nur eine Möglichkeit. Wichtiger finde ich eigentlich, dass junge Leute ihren persönlichen Weg finden, der ihnen erlaubt, ihr Potenzial auszuschöpfen und Befriedigung in Beruf und Privatleben zu finden. Ein Beispiel, das mir immer wieder in den Sinn kommt: Eine Freundin von mir hat das Gymnasium gemacht und wollte dann unbedingt Coiffeuse werden. Dafür wurde sie ziemlich belächelt. Heute ist sie Unternehmerin mit einem eigenen und sehr renommierten Salon. Daneben arbeitet sie für ein internationales Produktlabel, für das sie in der ganzen Welt herumreist, Seminare gibt und bei Shows mitwirkt, und sie hat ihre eigene Academy gegründet, in der sie Weiterbildungen im Fachgebiet und zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit anbietet. An einem runden Geburtstagsfest waren einige ihrer ehemaligen Klassenkameraden/-innen aus dem Gymnasium anwesend, die meisten Betriebswirte oder Juristen, und ich hatte das Gefühl, dass einige von ihnen sie sehr um ihren Job beneiden.
Was ist wichtig bei der Berufswahl?
Die wichtigste Frage ist eigentlich: Was interessiert mich, oder noch besser: Wofür kann ich mich begeistern? In welchen Berufen kann ich diese Interessen möglichst gut abdecken? Und dann: Wie steht es um meine persönlichen Stärken? Und falls diese für einen Beruf (noch) nicht ausreichen? Wie weit kann ich mich ggf. noch weiterentwickeln? Und inwieweit bin ich bereit, mich dafür persönlich zu investieren?
Wie finden Sie heraus, welchen Studium/ Beruf zu einer jungen Person passt?
Ich bin selbst nicht Berufs- oder Studienberater, hospitiere aber immer sehr gerne bei unseren Beratern und Beraterinnen in der Berufsbildung. Da gibt es unterschiedliche Ansätze: Am Anfang steht immer das persönliche Gespräch, das gezielte Nachfragen. Viele Jugendlichen kennen nur ein sehr eingeschränktes Spektrum an Berufen, sind von Eltern, Geschwistern und Peers beeinflusst und haben vielleicht unrealistische Vorstellungen. Da geht es oft darum, das Spektrum aufzutun. Wenn ein Jugendlicher von sich, der Schule und seiner Freizeit erzählt, ergibt das oft neue Richtungen und Ansätze. Ergänzend dazu gibt es natürlich Interessentests und andere diagnostische Verfahren, um z.B. das Potenzial von Jugendlichen abzuschätzen. Besonders wichtig ist aber die eigene Berufserkundung durch die Jugendlichen in Form von Schnupperlehre für eine Lehrstelle und anderen Formen von Kontakten mit der Berufswelt. Das gilt übrigens auch für die Studienwahl: Man kann durchaus auch in einem Spital oder in einer Anwaltspraxis schnuppern. Viel wichtiger als dass der Berufsberater oder die Berufsberaterin herausfindet, welcher Beruf oder welches Studium zur jungen Person passt, ist, dass die junge Person das für sich selbst herausfindet. Der Berufs- oder Studienberater hat da eher die Aufgabe eines Begleiters auf diesem Weg.
Was sind Ihre persönlichen Erwartungen an Teilnehmende vom Beratungsgespräch?
Zentral sind das Interesse am Beratungsgespräch und das persönliche Engagement. Wer den Sinn einer Beratung nicht wirklich erkennt, dem wird die Beratung nicht viel bringen. Dazu gehört auch eine gute Vorbereitung: Was weiss ich schon, was will ich zusätzlich erfahren und lernen? Wichtig ist auch Offenheit für Neues und vielleicht Unerwartetes.
Was gefällt Ihnen an ihrem Beruf am besten? Was weniger?
Früher war ich Studiengangleiter an einer Fachhochschule; da musste ich viele Studienanwärter-innen beraten, und es hat mir immer Freude gemacht zu sehen, wenn junge Menschen ihren Weg gefunden und vielleicht sogar Leidenschaft für ein Fachgebiet entwickelt haben. Das ist auch das, was mir an meiner jetzigen Funktion als Leiter einer kantonalen Berufsberatung und als Präsident der Schweizerischen Berufs- und Studienberatungs-Konferenz gefällt: Durch kreative und strategische Prozesse Voraussetzungen zu schaffen, damit Jugendliche und Erwachsene bei ihrer ganz persönlichen Laufbahngestaltung möglichst optimal unterstützt werden. Daneben gibt es auch immer wiederkehrende Routinearbeiten, die zu einer Führungsfunktion gehören. Das ist dann weniger mein Ding.
Welche Tipps geben Sie jungen angehenden Studierenden an Ihrer Anlaufstelle?
Der vielleicht wichtigste Tipp oder Hinweis: Eine Studienwahl ist bis zu einem gewissen Grad immer auch eine Berufswahl. Natürlich gibt es bezüglich der Tätigkeitsfelder nach einem Hochschulstudium oft eine gewisse Offenheit. Diese hängt aber stark vom Arbeitsmarkt ab. Daher empfehle ich sehr, mit möglichst vielen Personen zu sprechen, die dieses Studium absolviert haben, und zu sehen, wie sie ihre Laufbahn entwickelt haben. Das geht z.B. sehr gut bei kurzen Praktika.
Lehre oder Studium und wieso?
Da gibt es keine generelle Antwort. Berufslehre und Mittelschulbildung bieten heute absolut gleichwertige Chancen für die Entwicklung der beruflichen Laufbahn, das schweizerische Bildungssystem ist bezüglich seiner Durchlässigkeit absolute Spitzenklasse.
Wie sieht die Bildungslandschaft der Zukunft aus (Stichwort Digitalisierung)?
Die Corona-Krise zeigt auf, dass das Bildungssystem bezüglich digitaler Lehr- und Lernformen noch ein riesiges ungenutztes Potenzial hat. Ich denke, dass Bildung in Zukunft individueller und das persönliche Lernen immer wichtiger werden wird. Die Redewendung «Ich habe mich zum … ausbilden lassen» – die ich übrigens gar nicht mag – wird immer weniger zutreffen. Man lässt sich nicht ausbilden, man bildet sich selbst aus. Bildung muss auch modularer werden, Berufswechsel werden in 20, 30 Jahren noch viel häufiger und selbstverständlicher sein, Berufstätige werden sich im Verlauf einer Erwerbsbiografie regelmässig neu erfinden müssen. Das muss mit flexiblen und modularen Bildungsangeboten unterstützt werden.
Wir danken Daniel Reumiller herzlich für das Beantworten der Fragen!
Fotos: Von Daniel Reumiller zur Verfügung gestellt