Im Vergleich: Schweizer Hochschulen und US-amerikanische Hochschulen (links, Eastern Connecticut State University; rechts, Universität Zürich). Quellen: artwithimpact / Lara Friedrich

Professoren in den USA und in der Schweiz sind sich einig, dass ihre jeweiligen Hochschulsysteme teilweise ihre Nachteile haben. Auf Anfrage zeigen sich jedoch auch positive Aspekte, die man von aussen nicht vermuten würde.

Die Bologna-Reform wurde 1999 beschlossen und im März 2010 symbolisch gestartet, womit der Europäische Hochschulraum begründet wurde. Die Reform zielt auf Mobilitätsförderung und eine bessere Wettbewerbsfähigkeit des Bildungsstandorts Europa. Zentrale Themen sind das dreistufige Studiensystem mit Bachelor, Master und Doktorat, das ECTS-Punktesystem, die Zusammenarbeit zur Qualitätssicherung und nationale Qualifikationsrahmen. Die Schweiz hat diese Reformen rasch umgesetzt. Weitere Informationen: www.sbfi.admin.ch.

Welcher Uni-Student kennt sie nicht, die Jagd nach den ECTS-Credits, die seit den Bologna-Reformen (siehe Kasten) im Gang ist? Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker vom Lehrstuhl für klinische Intervention und Psychopathologie an der Universität Zürich bemängelt, dass die schnelle und heftige Umsetzung der Reformen eine Jagd nach Credits und einen sogenannten «Binge-Wissenserwerb» ausgelöst hat. Hätte man die Reformen bedachter durchgeführt, so Maercker, müsste man heute weniger administrative Probleme an Schweizer Hochschulen beheben.
Nichtsdestotrotz findet er auch Positives an Schweizer Hochschulen: Einerseits lobt er «die Internationalität – schon bedingt durch die Drei- bis Viersprachigkeit im Land», andererseits schätzt er an der Universität Zürich die Förderung von nachhaltigem Studenten- und Dozentenleben und die eher tiefen Studiengebühren. Diese betragen derzeit 720 Franken pro Person und Semester. Prof. Dr. Willibald Ruch, Fachrichtungsleiter für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Zürich, betont zusätzlich die gute Ausstattung der Universitäten und die Breite des Fächerangebots in der Schweiz.

Quelle: Privatfoto

Nach einer Ausbildung an der George Washington University arbeitete César Beltrán 35 Jahre lang für das US-Aussenministerium und die US-Informationsagentur und wurde schliesslich Karriereberater für den höheren Aussendienst. Während seiner Arbeit für die Regierung arbeitete er als Botschaftsrat in Budapest, Warschau, Santo Domingo und Moskau. Heute ist Herr Beltrán an der Eastern Connecticut State University als Hilfsprofessor für Kommunikationswissenschaften eingestellt und arbeitet weiterhin als Senior-Berater für die NGO ICDT und für die Mensch Foundation, die beide in Budapest situiert sind.

Nachteile von US-Hochschulen
Wer schon einmal mit einem US-Amerikaner gesprochen hat, konnte vielleicht feststellen, dass das Thema „College-Gebühren“ irgendwann im Gespräch aufgetaucht ist, da die Studiengebühren in den letzten Jahren fast untragbar geworden sind. Um ein Beispiel zu nennen: Studenten aus einem anderen US-Bundesstaat, die auf dem Campus der Eastern Connecticut State University im Osten des US-amerikanischen Bundesstaats Connecticut leben wollen, bezahlen über 30’000 US-Dollar im Jahr. Davon alleine 23’000 für Studiengebühren. César Beltrán, Professor für Kommunikationswissenschaften an der staatlichen Eastern Connecticut State University, erläutert, dass die Gebühren nicht nur an staatlichen, sondern auch an privaten und onlinebasierten Colleges zu hoch seien.
Einen Grund für die Inflation der Studiengebühren in den USA sieht Michael Connor, Professor für Architektur am San Antonio College in Texas, darin, dass durch die Bürokratisierung des Hochschulbetriebs unzählige neue Stellen und Ämter geschaffen worden sind. Ausserdem bedauert er: « Ich finde es schade, dass Colleges in den USA wie Firmen geführt werden».
Ein weiterer Kostenfaktor, der sowohl Beltrán als auch Connors Studierende beschäftigt, sind die teils absurd hohen Preise für Lehrbücher. Beispielsweise kostet ein Lehrbuch für César Beltráns Kurs neu 197 Dollar und gebraucht 146 Dollar. Das Buch ist nur in dem kleinen Campusladen erhältlich.

Quelle: Privatfoto

Michael C. Connor unterrichtet nun seit 20 Jahren auf der College-Stufe. Zurzeit ist er ausserordentlicher Professor für Architektur am San Antonio College in Texas, wo er in der Vergangenheit ebenfalls als Programm-Koordinator und Leiter des Fachbereichs tätig war. Seine akademischen Fachrichtungen sind Architekturdesign, Freihandzeichnen und Architekturgeschichte. Er besitzt einen Architektur-Bachelor der Universität Texas in Austin und einen postprofessionellen Master von der Universität New Mexico in Albuquerque.

Gemeinschaftsgefühl und Selbständigkeit
Neben den Problemen, die amerikanische Professoren erwähnen, scheint aber nicht alles gegen US-Colleges zu sprechen: An seiner Hochschule herrsche, so Beltrán, ein Gefühl von Gemeinschaft, und dies nicht zuletzt dank der kleinen Klassengrössen, der engagierten Mitarbeiter und der vielen Studentenorganisationen. Michael Connor schliesst sich seinem Kollegen an und erklärt, dass er es als Professor geniesse, neue Generationen von jungen Leuten heranzubilden, die «ihren Einfluss auf die akademische Welt geltend machen».
Ausserdem werden die US-Hochschulen meist von ihrem jeweiligen Staat reguliert. Die staatliche Regulierungsform der Hochschulen ist deshalb positiv, weil sie es erlaubt, Bildungsinhalte selbständiger zu gestalten.
Ein weiterer Lichtblick im US-Hochschulsystem sind mögliche Stipendien, wie sie beispielsweise auch die NASA anbietet. Die NASA-Raumfahrtbehörde, eine nationale Organisation, ist an der Forschung von US-Hochschulen interessiert. Sie bietet entsprechende Subventionen für Studierende an, wobei für das Jahr 2017 bis zu 345’000 Dollar an Unterstützungsgeldern vorgesehen waren.

Quelle: UZH

Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker doktorierte in Deutschland in den Fächern Medizin und Psychologie. Er ist Arzt, Psychotherapeut und seit 2004 auch Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Heute ist Herr Maercker nach Zwischenstationen in San Francisco, Zürich und Trier unter anderem als Ordinarius und Leiter des Forschungsbereichs an der Universität Zürich tätig. 2017 erhielt er das Bundesverdienstkreuz für wissenschaftliche und ehrenamtliche Tätigkeit.

Verbesserungspotenzial an Schweizer Hochschulen
In Hinsicht auf Prof. Dr. Dr. Maerckers und Prof. Dr. Ruchs Aussagen über Schweizer Hochschulen könnte man meinen die Bildungszustände an Schweizer Hochschulen seien fast frei von Tadel. Hier lenkt Maercker aber ein, dass unter anderem in seinem Fachbereich, der Psychologie, eine «Je mehr Studierende, desto besser»-Wachstumsideologie herrscht. Im Herbstsemester 2017 studierten entsprechend an der Universität Zürich rund 2300 Personen Psychologie im Hauptfach.
Diese Wachstumsideologie führe zu einer fast industriellen Lehrproduktion, wobei hier von höheren Stellen kaum Gegensteuer komme, erklärt er. Zusätzlich wünscht er sich auch, dass die Schweiz zukünftig mehr Mobilität zwischen den internationalen Hochschulen fördert.

Quelle: UZH

Prof. Dr. Willibald Ruch erwarb sein Doktorat der Psychologie in Graz. 1991 habilitierte er an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, ging aber später als Professor an die Queen’s University of Belfast in Belfast, UK. Seit 2002 ist Ruch ordentlicher Professor des psychologischen Instituts der Universität Zürich. Dort ist er zur Zeit Fachrichtungsleiter für Persönlichkeitspsychologie und kann diverse wissenschaftliche Publikationen und Mitgliedschaften aufweisen.

Im Kern gleich
Auch Prof. Dr. Ruch ist nicht nur zufrieden mit den Schweizer Universitäten: Einerseits herrsche ein Mangel an Schweizer Personal, andererseits seien Stellen, die rein aufgrund der Leistung eines Doktoranden vergeben werden, eher selten. Vielmehr sei es wichtig, die richtigen Personen zu kennen.
Auch die im Gegensatz zu den USA tiefen Schweizer Studiengebühren standen schon in der Kritik: Die Eidgenössische Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) fand die Erhöhung der Gebühren von 2002 um sechs bis 20 Prozent problematisch und empfahl daher Anpassungen des Gebühren- und Stipendiensystems.
Somit besteht in der Schweiz wie auch in den USA Verbesserungspotenzial an den Hochschulen, wenn auch in unterschiedlichen Bereichen. Das eigentliche Ziel ihrer Tätigkeit an Hochschulen ist jedoch bei Professoren in der Schweiz wie auch in den USA dasselbe und eine Herzensangelegenheit: Die Förderung ihrer Studenten.