Zentralismus in der Bildungsfrage

Kommentar

Vor Kurzem wurde der Vorwurf laut, in der Westschweiz würden viel mehr Schüler das Gymnasium besuchen und die Aufnahme ans Gymnasium sei viel einfacher als in der Deutschschweiz, insbesondere als in den Ostschweizer Kantonen. Dies wirft Fragen auf: Ist demzufolge das Niveau in der Westschweiz tiefer und eine Westschweizer Matura weniger wert als eine aus der Ostschweiz? Bleibt durch die stark unterschiedlichen Aufnahmeverfahren die Chancengleichheit auf der Strecke? Wenn ja, kann und sollte dieser Ungerechtigkeit mit mehr Zentralismus entgegengewirkt werden?

Nein, mehr Zentralismus ist nicht die Antwort. Eine einheitliche zentralistische Lösung bezüglich Aufnahmeverfahren ans Gymnasium wäre zwar ohnehin keine «schweizerische Lösung», wie es Franz Eberle, Professor für Gymnasial- und Wirtschaftspädagogik an der Universität Zürich, im Interview mit der NZZ ausdrückt. Doch auch ganz abgesehen davon: Zu viel Zentralismus schadet, weil er zur Standardisierung führt, Schülerinnen und Schüler in ihrer Wahl zwischen wirklich verschiedenen Angeboten der einzelnen Gymnasien einschränkt und Lehrpersonen ihrer Freiheit und Eigenverantwortung in der Unterrichtsplanung beraubt. Eberle sieht die Ursache für das Problem im mangelnden Austausch unter den Kantonen. Ob ein blosser Austausch zu interkantonaler Angleichung und mehr Chancengerechtigkeit führen wird, ist jedoch fraglich, da alle Kantone an ihren seit Jahrzehnten «bewährten» Systemen festhalten. Quoten sind ebenfalls keine Lösung, da in einem teils zweijährigen personalisierten Vorbereitungs- und Aufnahmeverfahren, wie es zum Beispiel der Kanton Schwyz kennt, kaum mit Quoten gearbeitet werden kann. Damit angesichts dieses Problems nicht der Zentralismus als Lösung avisiert wird, müssen Bund und Kantone daran arbeiten, dass der Bildungsföderalismus beziehungsweise -individualismus, eine grosse Stärke der Schweizer Bildungslandschaft, immer viel mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt. Es muss ein System erarbeitet werden, das den Kantonen weiterhin Gestaltungsfreiheit in ihren individuellen Verfahren zugesteht, gleichzeitig aber sicherstellt, dass der Weg zur Matura als Zugangsberechtigung für ein anschliessendes Universitätsstudium auf nationaler Ebene vergleichbar und im kantonalen Vergleich gleich viel wert ist. Dies erfordert nicht nur einen stärkeren Austausch unter den Kantonen, sondern setzt ihren Willen zur Zusammenarbeit voraus.

Fotocredits: Landestopographie Schweiz

Dieser Beitrag ist als Erstpublikation auf unifr.ch/spectrum erschienen.