Alec von Graffenried, Stadtpräsident von Bern, erklärt im Interview, wieso es Lehre und Studium braucht, was er gerne nachholen würde und warum eine politische Laufbahn nicht geplant werden sollte.
Auf welchen Erfolg Ihrer bisherigen politischen Karriere sind Sie besonders stolz?
Mit einem unscheinbaren Postulat konnte ich in der Bundesverwaltung enorm viel erreichen für die Sensibilisierung im Gebiet Wirtschaft und Menschenrechte. Oft sind es nicht die lauten Töne, die in der Schweizer Politik den Unterschied machen.
Weshalb haben Sie sich für ein politisches Amt entschieden?
Das war kaum ein bewusster Entscheid, vielmehr hat es mir den Ärmel reingerissen. Politik hat mich schon immer interessiert. Ich sehe sehr viel Sinn darin, mich für unsere Bevölkerung und die Gesellschaft einzusetzen. So wurde halt mein Hobby zu meinem Beruf.
Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial für die Schweizer Bildungslandschaft?
Unser duales Bildungssystem ist weltweit bekannt und bildet eine sehr gute Basis für die Ausbildung. Potential sehe ich darin, in der Bildung weiterhin auf die Problemlösungsfähigkeit und auf soziale Kompetenzen zu setzen, anstatt Wissen abzuspeichern. Sorge tragen sollten wir zu unseren starken öffentlichen Schulen. Das sind wichtige Schweizer Trümpfe.
Trifft die Politik genügend Massnahmen für das Schweizer Bildungssystem?
Ja, die Politik ist sich sehr bewusst, dass Bildung unsere wichtigste Ressource ist. Bildung und Forschung geniessen daher in der Politik quer durch alle Parteien hindurch hohen Respekt und Wertschätzung.
Was raten Sie jungen Menschen, die eine politische Laufbahn anstreben?
Eine politische Laufbahn planen? Das würde ich nicht empfehlen. Ich glaube ans Milizsystem, im Vordergrund steht die Ausbildung für einen Beruf. Gleichzeitig sollen sie sich politisch engagieren, sie sollen sich politisch bilden, lesen, diskutieren, an Veranstaltungen gehen. Wer aktiv ist, findet bei uns viele Möglichkeiten zur politischen Betätigung.
Wie gehen Sie als Politiker mit Kritik um?
Ich bin an Kritik interessiert, es ist ja ein Feedback auf unsere Arbeit, ich nehme sie daher auch ernst. Daher trifft mich negative Kritik immer persönlich, oft frage ich mich, ob sich die Kritiker darüber Rechenschaft geben.
Was sind die aktuell grössten Herausforderungen, denen unsere Gesellschaft ausgesetzt ist?
Oft werden die Folgen der Digitalisierung beschworen, die uns Angst machen sollten. Ich glaube auch, dass uns die Digitalisierung noch grosse Änderungen bescheren wird. Statt mit Angst sollten wir diesen Herausforderungen aber mit Neugierde begegnen. Wir haben immer mehr Möglichkeiten! Dabei vergessen wir manchmal, wie privilegiert wird sind, dass wir diese Möglichkeiten haben.
Lehre oder Studium?
Es benötigt alle! Einige mit Studium, viele mit einer Lehre. Wer eine Lehre macht, erfährt oft direkt, wo der Schuh drückt und kann dies in einem allfälligen späteren Studium gut einbringen.
Welche Veränderungen im Bildungssystem erwarten Sie in den nächsten Jahren?
Dass es vermehrt zweisprachige Klassen gibt und die Kinder bereits frühzeitig weitere Sprachen lernen. Das ist jedenfalls meine Hoffnung!
Welches Studium bzw. Weiterbildung würde Sie momentan interessieren?
Ich bereue, dass ich nie Gesangsunterricht genommen habe, das würde ich gerne nachholen.
Haben Sie ein (politisches) Vorbild?
Vorbild ist ein grosses Wort. Aber mich beeindrucken Mahatma Gandhi, Nelson Mandela oder Barack Obama.
Alec von Graffenried war für die Grünen im Nationalrat und ist seit 2017 Stadtpräsident von Bern. Eine ökologischere Hauptstadt, engere Zusammenarbeit der Gemeinden in der Region sowie breitere kulturelle Angebote sind nur einige Themen, die dem Rechtsanwalt und Mediator am Herzen liegen. Der 57-jährige Familienvater gilt ohnehin als «Brückenbauer».
Wir danken Alec von Graffenried für das Interview.